Homo Faber

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 1957
  • 1
  • Berlin: Suhrkamp, 2011, Seiten: 203, Originalsprache
  • Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1957, Seiten: 288, Originalsprache
Homo Faber
Homo Faber
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Britta Höhne
921001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2013

Bratwursthaut und grinsende Präsidenten

"08.05 Uhr Sie kommen." Das Ende beginnt mit einem Anfang. Das Ende ist offen und kann nur so ausgelegt werden, dass es kein gutes wird. Walter Faber hat Krebs. Mit den Jahren nahmen die Schmerzen zu, unerträgliche zuweilen, dann die Operation. Ob er sie übersteht? Das Ende bleibt offen. Mit Homo Faber ist Max Frischs bereits im Jahre 1957 ein erster Geniestreich gelungen.

Gering nur war die Auflage, um die inzestuöse Beziehung zwischen Vater und Tochter, doch bereits kurz nach Erscheinen musste wieder aufgelegt werden. In Windeseile kletterte das Buch des schweizer Autors die Bestseller-Listen hinauf und hielt sich dort. Max Frisch selbst nennt seinen Roman einen Bericht. Einen überaus strukturierten zudem. Was kein Wunder ist, ist Protagonist Walter Faber doch Techniker bei der UNESCO und leitet den Bau von technischen Anlagen in der ganzen Welt. Sein Weltbild ist technisch geprägt. Menschen interessieren ihn nicht, er geht rational vor, mag Roboter, weil sie seelenlos sind, nichts hinterfragen, funktionieren, agieren auf Befehl. Nichts kann sein Weltbild erschüttern. An Schicksal glaubt er nicht. An Zufälle noch viel weniger. Dann lässt Frisch eben diesen Faber, der das fünfzigste Lebensjahr schon hinter sich gelassen hat, mit einer Welt außerhalb der Technik zusammen stoßen – und scheitern. Faber versteht nicht. Nicht, als sein Flugzeug in der Wüste notlandet, nicht, als sich sein ehemaliger Freund im Dschungel von Mexiko das Leben nimmt.

Erst als er sein eigenes Leben zu reflektieren beginnt, erwacht er aus seiner Art der Lethargie. Und wieder trägt eine Frau die Schuld. Walter Faber liebt. Eine reale Frau: Hanna. Zur Heirat kommt es nicht, sie trennen sich. Hanna ist schwanger und bekommt Fabers Kind Elisabeth. Walter Faber lernt – Sabeth wie er sie nennt – auf einer Reise kennen. Die beiden mögen sich auf Anhieb. Faber passt auf Sabeth auf. Ihre lockere Art das Leben zu leben und lieben sagt ihm nicht zu. Sie möchte per Autostopp zu ihrer Mutter nach Athen reisen. Faber fährt mit.

Einer Tragödie gleich, kommt Sabeth ums Leben. Erst wird sie von einer Schlange gebissen – stirbt aber letztendlich an inneren Verletzungen, die sie sich beim Fallen zugezogen hat. Faber trifft auf Hanna, Jahrzehnte später. Möchte sie heiraten, trösten, da sein und schwindet bereits selbst aus dem hier und jetzt.

Max Frisch teil aus: Er verpasst den Frauen einen Seitenhieb. Er findet sie alle gleich. Eine seiner Geliebten, Ivy, prägt das Bild der amerikanischen Frau seiner Zeit:

 

"Ivy heißt Efeu, und so heißen für mich eigentlich alle Frauen"

 

teilt er aus. Frisch vergleicht das weibliche Geschlecht mit Kletterpflanzen. Mit Unkraut eigentlich. Die schöne stets auf ihr Äußeres bedachte Ivy ist auch der Seitenhieb an die Vereinigten Staaten von Amerika. Frisch lehnt sie ab, bezeichnet Amerikaner wie folgt:

 

"Schon ihre Häßlichkeit, verglichen mit Menschen wie hier: ihre rosige Bratwurst-Haut, gräßlich, sie leben, weil es Penicillin gibt, das ist alles, ihr Getue dabei, als wären sie glücklich, weil Amerikaner, weil ohne Hemmungen, dabei sind sie nur schlaksig und laut... die Schutzherren der Menschheit, ihr Schulterklopfen, ihr Optimismus, bis sie besoffen sind, dann Heulkrampf, Ausverkauf der weißen Rasse, ihr Vakuum zwischen den Lenden."

 

The American Way of Life! Dazu ein Präsident, der von jeder Zeitung grinst, damit er vom Volke wieder gewählt wird. Frischs Standpunkt wird klar: Die Amerikaner sind sein Volk nicht. Doch, wofür steht Walter, Homo faber? Für den "normalen" Menschen? Was immer das ist? Für einen Menschen, der Fehler macht, versucht zu verstehen, zu verzeihen? Frisch klärt nicht auf. Er lässt einen gebrochenen Mann zurück, der im Bett mit seiner eigenen Tochter gelandet ist. Ihm kann kein Strick daraus gedreht werden, er wusste nichts von Sabeth. Sie nichts von ihm. Faber nämlich ist ein Mann, der sich kümmern kann, wie die Geschichten um seine Freunde beweisen.

Der Roman, der ein Bericht ist, ist rein aus Fabers Sicht verfasst. Die Sprache, die Frisch benutzt, begeistert. Wechselt er doch zwischen Gossendeutsch und Techniklatein. Immer wieder nistet sich ein Telegrammstil ein, der zu Fabers Technikversiertheit gar nicht passen will. Oder irgendwie auch doch.

Ein großer kleiner Roman. Sollte die Buchliste für deutsche Abiturienten jemals geändert werden, Homo Faber sollte auf jeden Fall seinen hohen Stellenwert behalten. Auch, wenn er so manchen Absolventen mit all seiner Dichte und sprachlicher Finesse quält, mit all seinen Widersprüchen und Gedanken vom Haben oder Sein, vom Leben oder Sterben. Ein ganz wundervolles Buch.

Homo Faber

Max Frisch, Suhrkamp

Homo Faber

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