Quasikristalle

  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2013, Seiten: 432, Originalsprache
Quasikristalle
Quasikristalle
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Birgit Stöckel
671001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2013

Im Durcheinanderland des Lebens

Kristalle kennt jeder: Es gibt sie in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Farben, geschliffen oder ungeschliffen. Man findet sie z.B. in Kristallgläsern oder Kristallleuchtern. Quasikristalle hingegen dürften den meisten Menschen eher unbekannt sein. Der Unterschied liegt in der Molekülanordnung: Während Kristalle eine geordnete, periodische Anordnung haben, d.h. jede Zelle ist von anderen Zellen umgeben, die immer ein gleiches Muster bilden, liegt bei Quasikristallen zwar auch eine geordnete, aber aperiodische Anordnung vor. Die einzelnen Zellen sind jeweils von einem anderen Muster umgeben.

Warum Eva Menasse ihren Roman Quasikristalle genannt hat? Nun, das kann man auch nach der Lektüre dieses Buchs nicht mit hundertprozentiger Sicherheit beantworten. Vielleicht, weil das Buch aus 13 verschiedenen Kapitel besteht, die nur lose zusammenhängen und somit dem Buch zwar eine Grundstruktur verleihen, jedes aber fast für sich alleine stehen könnte und jedes ein anderes Muster besitzt. Vielleicht, weil jedes Leben eine allgemeine, sich gleichende Grundlinie besitzt (den Fortlauf von der Geburt bis zum Tod), aber trotzdem einzigartig ist, verschiedene Lebenslinien und Muster schafft. Vielleicht aber auch, weil jeder Mensch zwar das gleiche Grundgerüst, aber trotzdem eine einzigartige Ordnung besitzt. Oder vielleicht deshalb, weil jeder, der einen Mensch kennt, zwar einen gleichen Gesamteindruck gewinnen kann, wie jemand anderer, der diesen Menschen ebenfalls kennt, aber in Details wird sich dieser Eindruck immer unterscheiden.

Eva Menasse nähert sich ihrer Protagonist Roxanne "Xane" Molin auf ungewöhnliche Weise, in dem sie zwölf verschiedene Personen jeweils eine Begegnung, ein Erlebnis oder eine Erfahrung mit Xane erzählen lässt. Lediglich ein Kapitel in der Mitte des Buchs ist aus Xanes Sicht geschrieben.

Wobei "Protagonist" vielleicht nicht das richtige Wort für Xane ist. Ein Protagonist ist schließlich der "hauptsächlich Ausführende einer Handlung oder Handlungsreihe" (Quelle: Wikipedia.de) und diese Definition trifft auf Xane nun nicht zu. Protagonisten sind in zwölf von dreizehn Kapitel immer andere: Z.B. ihre beste Freundin zu Jugendzeiten, ihr Vermieter in jüngeren Jahren, eine Kinderwunschärztin, ihre Stieftochter, ihr Vater und zuletzt ihr Sohn in einem Briefwechsel. Xane selber taucht oft nur am Rande auf, sie verbindet die einzelnen Geschichten lose miteinander. Man lernt sie nur indirekt durch die Augen der anderen kennen.

Diese indirekte Figurenentwicklung macht den Reiz dieses Buchs aus, ist zugleich aber auch seine größte Schwachstelle.

Durch die verschieden Personen und Perspektiven entfaltet sich ein Kaleidoskop des Lebens. Es macht Spaß, in die unterschiedlichen Situationen einzutauchen und sie mitzuerleben. Es sind sehr unterschiedliche Geschichten, die erzählt werden, eines ist ihnen aber allen gemein: Sie haben keine weltbewegenden Themen als Inhalt sondern die kleinen Dinge, die das Leben so lebens- und liebenswert machen. Man bekommt sowohl die Gipfel als auch die Abgründe menschlicher Charaktere vorgeführt und es sind oft die Zwischentöne, die ein Kapitel besonders lesenswert machen.

Nach und nach gewinnt man dann auch ein Bild von Xane Molin – allerdings ein recht schwaches, durchscheinendes. Es fehlt an Substanz, die eine wirklich fesselnde und interessante Figur erschafft. Teilweise vergisst man ganz, dass Xane der eigentliche rote Faden ist, bis man im Laufe des Kapitels wieder über sie stolpert. Auch das siebte Kapitel, das aus Xanes Sicht erzählt wird, trägt nicht dazu bei, den Eindruck, den man von ihr gewonnen hat, zu vertiefen. Zu blass erscheint sie vorher und zu blass bleibt sie auch im weiteren Verlauf.

Am Ende des Buchs fühlt man sich als Leser unbefriedigt, irgendwie fehlt ein wirklicher Abschluss. Man fragt sich, was eigentlich die Absicht der Autorin ist, was sie vermitteln möchte und findet genau darauf doch keine schlüssige Antwort, was den Gesamteindruck erheblich trübt.

Quasikristalle ist ein schön geschriebenes Buch, das interessante und entspannende Lesestunden beschert, aber letztendlich hinter den Erwartungen zurück bleibt und durch den schwachen roten Faden den Sprung in die Riege der wirklich guten Bücher, die man nicht mehr vergisst, nicht schafft.

Quasikristalle

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