Home Run

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2013
  • 1
  • New York: Doubleday, 2012, Titel: 'Calico Joe', Seiten: 198, Originalsprache
  • München: Heyne, 2013, Seiten: 272, Übersetzt: Bea Reiter
Home Run
Home Run
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Andreas Kurth
751001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2013

Sportlich und emotional

Baseball ist ein höchst komplizierter Sport – und fasziniert in Amerika die Massen. Da ist es kein Wunder, dass es einen wahren Hype in den Medien gibt, als bei den Chicago Cubs 1973 ein neuer Stern aufsteigt. Joe Castle hat zuvor in den unteren Ligen gespielt, aber als es mehrere Ausfälle auf der Position des First Baseman gibt, wird er in die erste Profimannschaft beordert. Und schnell zeigt sich, dass Joe ein Ausnahmetalent ist. Bereits in seinen ersten Spielen für die Cubs schlägt er einen Home Run nach dem anderen. Die Fans sind völlig aus dem Häuschen, und als er einige Rekorde aufstellt, wird Castle im ganzen Land gefeiert – auch von den Fans anderer Teams. Doch eines Tages muss sein Team gegen die New Yorkers Mets antreten. Warren Tracey, allenfalls mittelmäßige Werfer dieses Teams, kann den Erfolg des jungen Rookies kaum ertragen, zumal er selbst ständig in der Kritik steht. Mit voller Absicht wirft Tracey einen so genannten Bean-Ball, der Joe Castles Leben für immer verändert. Drei Jahrzehnte nach diesem schicksalsschweren Tag bricht Traceys Sohn auf, um Castle um Verzeihung zu bitten – und die beiden Männer zu einem Versöhnungsgespräch zusammen zu führen.

John Grisham ist den meisten deutschen Lesern vor allem als Autor brillanter Justiz-Thriller bekannt. Dabei finde ich ganz persönlich, dass er als Erzähler amerikanischer Alltagsgeschichten noch besser ist. Herausragend ist hier Das Fest zu nennen, nicht nur zur Weihnachtszeit eine überaus köstliche Lektüre. Aber auch Die Farm, Der Coach und Touchdown sind bemerkenswerte Bücher, gerade weil man sie aus der Feder von John Grisham so nicht erwartet. Nach den Football-Romanen hat sich der Autor nun mit Home Run den noch stärker in der Bevölkerung verankerten amerikanischen Volkssport Baseball vorgenommen. Schon in Die Farm beschreibt er eingehend, wie in den 50er Jahren ganze Familien nach Feierabend oder am Wochenende auf der Veranda ihres abgelegenen Anwesens im mittleren Westen sitzen, und andächtig der Radio-Übertragung der Profi-Baseballspiele lauschen. Und auch in seinem neuen Buch wird überaus deutlich, wie die steile Karriere eines jungen Spielers zunächst sein Heimatörtchen förmlich auf den Kopf stellt, um dann das ganze Land in Aufregung zu versetzen.

Football, Basketball und Eishockey werden in den USA professioneller und oft deutlich besser gespielt als in anderen Ländern. Aber Baseball ist "der" amerikanische Sport, den Jungs schon als Kleinkinder erlernen und ausüben. Die Regeln sind überaus kryptisch – dem trägt der Autor mit einem Anhang Rechnung, in welchem er den Versuch einer Erklärung unternimmt. Das kann man sich antun, man kann aber auch einfach die faszinierende Geschichte lesen und das Fachchinesisch ignorieren. Denn es geht hier um zwei Sportlerkarrieren, die nachhaltig "versaut" werden. Die eine durch Unvermögen und unprofessionellen Lebensstil, die andere durch den Mutwillen eines neidischen Kontrahenten. In vielen Familien wird davon geträumt, dass eines der Kinder eine große Karriere als Profi-Sportler macht. Eine solche Traumkarriere skizziert John Grisham im ersten Teil seines Romans. Der fiktive Nachwuchsspieler Joe Castle wird als Aushilfe in die Spitzenmannschaft der Chicago Cubs geholt, ein übliches Vorgehen im amerikanischen Profi-sport, wo Nachwuchstalente gerne in so genannten Farm-Teams geparkt werden.

Grisham lässt seinen Protagonisten mühelos alle möglichen Rekorde brechen, was schon 1973 zu einem Medien-Hype geführt hätte. Nur wäre das damals nicht so genannt worden. Castle hat in kurzer Zeit eine riesige Zahl von Fans und Bewunderern, auch solche Entwicklungen sind typisch für den Sport, daran hat sich bis heute nichts geändert. Grisham schildert die Entwicklung fantasievoll und authentisch, als Leser fiebert man mit – und wird nachdenklich. Zu den glühenden Bewunderern des jungen Stars gehört auch der 11-jährige Paul Tracey, den der Autor als Erwachsenen auf die dramatischen Ereignisse zurückblicken lässt. Parallel dazu versucht Paul in der Gegenwart, zunächst Joe Castle zu finden, und dann seinen Vater zu einem Gespräch mit ihm zu bewegen. Hierbei wird einiges an Familiengeschichte aufgearbeitet, aber der Roman bietet auch einen guten Blick hinter die Fassaden amerikanischer Mittelschicht-Familien.

Paul war damals dabei, als sein Vater und sein Idol aufeinandertrafen. Die schwere Verletzung, die Tracey dem jungen Rookie zufügt, trifft auch seinen Sohn. Das wird dadurch verschlimmert, dass der Vater in seinem völlig unsportlichen Handeln keinen Fehler zu erkennen vermag.

Emotional fährt John Grisham in seiner Geschichte wirklich schwere Geschütze auf. Seine Protagonisten sind überzeugend gezeichnete Figuren, die Dialoge sind authentisch und berühren den Leser. Die Sportart Baseball wird dabei durchaus etwas glorifiziert, aber damit kann man gut leben – schließlich werden andere Sportarten von ihren Fans auch verherrlicht. Die Vernarrtheit in den Sport ist ja in den USA weit verbreitet. John Katzenbach hat auf eine entsprechende Frage in einem Interview mit mir geantwortet:

 

"In Neu-England, wo ich lebe, sind die Red Sox kein Baseball-Team, sie sind ein Rauschgift, von dem wir alle abhängig sind. Sie gehen dir unter die Haut und in dein Herz, sie gehen in deinen Kopf und in deine Seele. Und mit dem wechselnden Geschick des Teams verändert sich auch die Persönlichkeit von allen in Neu-England."

 

Etwas ganz ähnliches ist auch in Home Run zu spüren – glänzend erzählt von einem Autoren, der nicht nur in die Schublade "Gerichtsthriller" gesteckt werden sollte.

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