Von Gleich zu Gleich

  • London: Virago, 1997, Titel: 'Like', Originalsprache
  • München: Luchterhand, 2013, Seiten: 368, Übersetzt: Silvia Morawetz
Von Gleich zu Gleich
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Almut Oetjen
831001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2013

Ein Roman in zwei komplementären Novellen

In ihrem Debüt Von Gleich zu Gleich, dessen Original "Like" im Jahr 1997 veröffentlicht wurde, erzählt Ali Smith die problematische Beziehungsgeschichte der Engländerin Amy Shone und der Schottin Aisling "Ash" McCarthy. Die beiden lernen sich während eines Ferienaufenthalts von Amy in Schottland kennen und verlieben sich ineinander. Jahre später, Amy studiert in Cambridge, verlässt Ash, die mittlerweile Schauspielerin ist, Schottland und fährt zu Amy. Doch in der Universitätswelt wird Ash nicht heimisch. Spannungen zwischen ihr und der sie vernachlässigenden Amy belasten die Beziehung. Ash fährt nach London, hält es dort aber ohne Amy nicht lange aus. Sie will herausfinden, was Amy von ihr hält und liest deren Tagebuch.

Eine Liebesgeschichte in zwei Teilen

Im ersten Teil lernen wir Amy und ihre siebenjährige Tochter Kate kennen. Amy hat ihre Lesefähigkeit nach einem Nervenzusammenbruch verloren. Sie verlässt ihr Elternhaus und zieht mit Kate nach Schottland, wo sie auf einem Campingplatz wohnt und für den Besitzer Angus kleinere Arbeiten erledigt. Amy fällt dort als Engländerin mit ihrem Oberschichtenakzent auf, der im Widerspruch steht zum bescheidenen Leben, dass sie und Kate führen.

Die Erzählung folgt auch Kate und ihren Bemühungen, mit der neuen Situation fertig zu werden. Kate ist ein unabhängiges Mädchen, das viele Fragen stellt. Sie verbringt viel Zeit alleine und besucht manchmal ihre Schulfreundin Angela McEchnie, mit der sie eine Fernsehserie anschaut.

Amy spricht nicht über ihre Vergangenheit. Sie ist freundlich und distanziert, wirkt bisweilen abwesend. Einmal stellt ein Fremder fest, dass Kate, die im Gegensatz zu Amy helles Haar hat, so schön wie ein Filmstar sei. Amy erinnert sich daran, wie sie Kate als Baby wiederholt loswerden wollte. Wenn Kate nach den Umständen ihrer Geburt fragt, erzählt Amy ihr Geschichten, darunter eine, in der sie Kate im Krankenhaus fand und einfach mitnahm. In den Roman sind Hinweise darauf eingestreut, dass Kate vielleicht nicht Amys Tochter ist.

Nach acht Jahren sieht Amy erstmalig ihre Eltern wieder, und die lernen Kate kennen. Die Rückkehr nach England bewirkt, dass die promovierte Amy ihre Lesefähigkeit wiedererlangt.

Im zweiten Teil lesen wir das Tagebuch von Ash, ihre Gedanken über ihre erste Liebe und über die Zeit mit Amy. Wir erfahren nicht nur viel über Ash, sondern auch im ersten Teil vorhandene Lücken werden hier teilweise gefüllt.

Zwei unterschiedliche Erzählinstanzen

Die beiden Teile unterscheiden sich in der Erzählinstanz. Der mit "Amy" überschriebene erste Teil wird in der dritten Person Singular erzählt. Die Erzählfigur ist Amy und Kate sehr nahe, begleitet sie und erzeugt in wenigen Momenten eine unmittelbare Beziehung ("Sagen wir, du hättest ein Kind genommen.") zu den Charakteren, die die Außenperspektive mit der Binnenperspektive verschränkt.

Der mit "Ash" überschriebene zweite Teil gibt in der Ich-Form den Tagebuchinhalt wieder. Darunter befinden sich kulturelle Marker zu Musik, Literatur und Film. Ash macht sich zudem Gedanken über das gesellschaftspolitische Umfeld ihrer Zeit, so den Thatcherismus, der in wenigen Jahren den Wohlfahrtsstaat zerschlug. Die Neuveranlagung von Vermögenswerten im Jahr 1987 führte dazu, dass Thatcher besonders in Schottland zur gehassten Person wurde. Das Tagebuch von Ash beginnt in diesem Jahr.

Der erste Teil wird langsam und unaufgeregt erzählt, der zweite Teil leidenschaftlich. Gleichwohl ist der Ton ähnlich. Die Teile lesen sich, sieht man von kleineren Details ab, als wäre die Tagebuchschreiberin auch die in der dritten Person erzählende Instanz des Amy-Teils. Das mag, sollte es nicht der deutschen Übersetzung geschuldet sein, durchaus Absicht sein, ebenso, wie die Verschränkung von Perspektiven, die im ersten Teil eher unauffällig vorgenommen wird.

Ali Smith arbeitet intensiv mit Formen und Bildern. Einmal beobachtet Amy auf einem Baum sitzend die schlafende Ash. Der Gegensatz von Oben und Unten, der die soziale Differenz beschreibt, wird hier deutlich. Aber auch der Widerspruch zwischen Schottland und England, der den Roman hindurch immer mal wieder aufscheint. Bilder des Todes, das romantische Substitut des Schlafes eingeschlossen, bestimmen den Roman. Während Amy in wenigen Momenten sich fasziniert zeigt vom Tod, muss Ash häufiger daran denken – an ihre tote Mutter, an tote Stars, an Opfer eines Flugzeugabsturzes. Amy findet Gefallen an der katholischen Ikonografie, Ash ist Katholikin, die früher gebetet hat und heute an Gott zweifelt.

Ali Smith führt nur wenig aus, arbeitet häufig mit Andeutungen und überlässt vieles den Lesern und Leserinnen. Der Plot für sich genommen ist eine simple Lektüre über zwei Frauen, die einander finden und wieder verlieren. Aber ihre Geschichte hat etwas Bruchstückartiges, in dem eine Racheepisode untergebracht ist und Kate irgendwann keine Rolle mehr spielt.

Eine nicht tragische, aber traurige Erzählung.

Von Gleich zu Gleich

Ali Smith, Luchterhand

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