Spielen

  • Oslo: Forgalet Oktober as, 2009, Titel: 'Min Kamp III', Originalsprache
  • München: Luchterhand, 2013, Seiten: 576, Übersetzt: Paul Berf
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Britta Höhne
851001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2013

Ausgleich für Vaters Finsternis

Karl Ove Knausgård braucht nichts. Keine Zitate zum Einstieg, keine Widmung "Für blablabla", keinen Dankessalmon zum Ende des Buches und auch keine einzelnen Kapitel. Der norwegische Autor knallt einfach rein in seine Geschichte, legt über exakt 571 Seiten ein berauschendes Tempo vor, sprintet ohne Pause durch die Geschichte, um am Ende mit einem Knall ein abruptes Ende zu finden. Und das Spannende daran ist: Karl Ove Knausgård berichtet "nur" über sich selbst. Alltag ist sein Thema, in diesem Fall der Alltag des jungen Knausgård, der gemeinsam mit Mutter, Vater, Bruder in einer Siedlung lebt, zur Schule geht und diese irgendwann wechselt. Mehr nicht.

Der Autor Karl Ove Knausgård ist ein Phänomen – oder besser das, was er zu Papier bringt. Genauso großspurig, wie er seine Geschichten anlegt, ist sein gesamtes Projekt: Nach Sterben und Lieben ist jetzt sein drittes Werk mit dem einfachen Titel Spielen erschienen. Und da der kleine Karl Ove Knausgård schon ein Klugscheißer und immer alles-besser-Wisser war, einer der überheblich daher kommt und alle wissen lässt, dass er mehr kann und weiß, ist es der große Knausgård auch. Sechs Bände insgesamt nämlich verspricht der Autor seiner wachsenden Leserschaft. Zehn, zehn wären noch besser!

Knausgårds Reihenfolge verwirrt: Sterben, Lieben, Spielen. Sollte eine Biographie – und als solches ist das Projekt ausgelegt – nicht chronologisch beleuchtet werden? Nicht bei Knausgård, wenngleich er seine einzelnen Geschichten en détail von vorne bis hinten erzählt. Beginnend mit:

 

"An einem milden und wolkenverhangenem Tag im August 1969 fuhr auf einer schmalen Straße am äußersten Ende einer südnorwegischen Insel..."

 

Karl Ove, knapp acht Monate alt und sein viereinhalb Jahre alter Bruder Yngve sind mit Mutter und Vater auf dem Weg zum neuen Domizil. Kaum eingezogen, so scheint es, beginnen die Jungs ihr wildes und offensichtliche freies Leben vor der Tür des Hauses. Alles wirkt wie eine glückliche Kindheit, in der hinter jeder Hecke ein Abenteuer wartet. Wäre da nicht der Vater: Volksschullehrer und überaus autoritär, brutal zuweilen. Freunde der Kinder duldet er nicht im Haus. Am Tisch wird gerade gesessen, sich  danach für das Essen bedankt. Gemacht wird, was Vater sagt, sonst setzt es schallende Ohrfeigen.

Knausgård jagt sich selbst durch die Geschichte seiner frühen Kindheit bis etwa zum Alter von 13 Jahren. Er zeigt auf, wie Familie sich verändert, wie Mutter und Vater neue Wege einschlagen – und die beiden Brüder auch. Karl Ove verliebt sich im zarten Alter von sieben Jahren. Er leidet, er sehnt sich, spricht dann mit seiner Mutter – über Banalitäten. Die Jungs verbünden sich gegen den allzu dominanten Vater, der, kaum das die Mutter aus dem Haus ist, unausstehlich wird.

Karl Ove wächst heran. Menschen in seinem Leben kommen und gehen. Die Lieben auch. Jedes mal nimmt er sich vor, alles besser zu machen, klüger, bis ein 15-minütiger Dauerkuss seinerseits – sein Freund hielt mit seinem Mädchen nur zehn Minuten durch – wieder das Ende einer Zweisamkeit einläutete. Karl Ove, der irgendwann nur noch "Femi" gerufen wird, hadert mich sich und der Welt, mit seinem zu weit hervor stehendem Po und den Zähnen, die nicht der Norm entsprechen.

Plötzlich, in des Autors präziser Schilderungsweise, wird es philosophisch. Nicht kindlich philosophisch, sondern so, wie es der Knausgård von heute sieht, ein Mann von Mitte vierzig. Dann etwa, als er über die Beziehung zu seinen eigenen Kindern nachdenkt, er, der als Junge seinen Vater hasste, "wie man nur einen Vater hassen kann". Der Autor ist sich sicher, seine Kinder haben keine Angst vor ihm, sie zucken nicht zusammen, wenn er deren Zimmer betritt:

 

"... ich habe nichts dagegen, von ihnen übersehen zu werden, und bin froh, von ihnen als selbstverständlich angesehen zu werden. Und sollten sie völlig vergessen haben, dass ich früher da war, wenn sie selbst einmal vierzig sind, werde ich mich verneigen und es dankend annehmen."

 

So sehr er seinen Vater hasst, so sehr liebt er seine Mutter. Sie ist es, die die Familie zusammenhält. Ist sie im Raume herrscht Ruhe. Als sie sich für ein paar Monate verabschiedet, um an einem anderen Ort zu studieren, brechen die Welten der Jungs zusammen. Das Schweigen in dem drei-Mann-Haushalt wird für alle unerträglich:

 

"Das Schweigen wächst. Und wir merken es alle drei, dieses Schweigen ist nicht so, dass es sich auflösen könnte, es ist eines, das ein Leben lang währt. Sicher, man kann etwas sagen darin, man kann reden, aber deshalb endet das Schweigen nicht."

 

Spielen ist weniger tiefgründig, weniger theoretisch, es ist was es sein soll: kindlicher.  Knausgård versucht nicht sein junges Selbst zu verbiegen, er lässt es spielen, toben, Mädchen lieben und auch wieder nicht, Sexualität entdecken und fürchterlich leiden. Bis zum abrupten Ende: Mutter, Vater, Karl Ove steigen ins Auto und verlassen ihr "Nest". Yngve bleibt. Will kurz vor dem Abitur nicht umziehen. Schluss, aus, Ende. Nach all den Jahren trägt Karl Ove Knausgård noch immer jedes Detail in sich, "...mit einer Art absolutem Gehör der Erinnerung." Knausgård kann nur ganz groß. Und für Band vier wird er sich mächtig ins Zeug legen müssen. Nummer drei war das "Spiel". Spiel mit Spaß. Jetzt wird wieder eine Kür erwartet.

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