Cocksure

  • München: Liebeskind, 2008, Titel: 'Cocksure', Seiten: 255, Übersetzt: Silva Morawetz
Cocksure
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Wolfgang Franßen
801001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2012

Überhitzt

Es geht ja die Mär um, dass Briten und Amerikaner trotz aller innigen, öffentlichen Umarmungen, wenn es um die Wahrung politischer wie wirtschaftlicher Interessen in der Welt gilt, sich eigentlich fremd sind. So ähnlich wie Belgier und Franzosen. Wie Schweizer, Österreicher und Deutsche. Sie sprechen zwar dieselbe Sprache, aber das ein oder andere Wort klingt nicht nur dem Laut nach anders, je nachdem welchem Mund es entspringt. Wenn dann ein amerikanischer Filmmogul mit Namen Star Maker plant, den angesehenen Londoner Verlag OriolePress zu übernehmen, prallen mehr als nur kulturelle Differenzen aufeinander. Zumal, wenn es in den Swinging Sixties geschieht, mitten in der sexuellen Revolution.

Wer zurzeit den Kampf um Suhrkamp verfolgt, kann sich vorstellen, mit welch feiner, wie rüder Klinge da gefochten wird. Im Mittelpunkt steht der Cheflektor Mortimer Griffin, der mit allem anderen als der Zukunft des Verlags beschäftigt ist. Besonders seit er ausgerechnet bei seinem Konkurrenten Hyman Rosen den Eindruck des Antisemiten hinterlassen hat. So dreht sich Mordecai Richlers dramaturgisches Konzept nicht nur um nationalbedingte Interessen. Es tut sich ein Abgrund zwischen dem rüden Filmgeschäft, wo das Geld nur so gescheffelt wird, und der kulturellen Hochnäsigkeit auf, wenn Hochgeistiges zwischen Buchdeckel gepresst werden soll.

Mordecai Richlers Roman erschien 1968. Der Autor hat nach einem Aufenthalt in Paris zwei Jahrzehnte lang in London gelebt und die Zeit der Beat–Generation miterlebt. So darf es nicht verwundern, dass vor allem seine Dialoge sich heute noch wie reine Popliteratur lesen. Schnell, bissig und voller Zynismus hinter dem Deckmantel der Ignoranz verborgen. Dass Richler neben Essays und Kolumnen auch noch Drehbücher geschrieben hat, war sicher eine gute Starthilfe, um so schillernde Figuren wie Dino Tomasso, den ehrgeizigen Fast-Thronprinzen des Star-Maker-Reiches zu entwerfen. Den typischen Statthalter, der überall auf der Welt die Interessen seines Übervaters zu wahren versteht.

Im Roman gelingen Mordecai wunderbar überdrehte Momente. So, wenn Mortimer gemeinsam mit Ehefrau Joyce den Schulschwierigkeiten ihres Sohnes Doug auf den Grund gehen will und auf dessen Klasse und seine Klassenlehrerin Miss Tanner treffen. Sie führt ihnen gleich mal vor, mit welchem Esprit sich die Sprache der Gosse mittels De Sade und Apollinaire als Lehrauftrag verstehen lässt. Das Kapitel sollte Standardlektüre in deutschen Lehrerkonferenzen werden. Wer weiß, was uns da noch alles bevorsteht, wenn sich die zweite, oder gar schon die dritte Stufe der sexuellen Revolution via Internet in unseren Köpfen festgesetzt hat. Mordecai Richler ist da eine prophetische Gabe zu unterstellen. 

Auch die Schulaufführung mit dem Aufruf der Brandmarkung sexueller Enthaltsamkeit mittels nackter Tatsachen auf der Bühne, ist Slapstick höchster Güte. Die Eltern sind nicht mehr an der Vermittlung der wahren Werte interessiert. Ihre Kinder sollen nur nicht ausgegrenzt werden, wenn sie sich nicht trauen, alle Hüllen fallen zu lassen.

So direkt, so ungezügelt trauen sich wenige Schriftsteller über eine Gesellschaft herzuziehen, die alles hat, die sich alles herausnimmt, deren Freiheit darauf beruht, sich lächerlich zu machen. Selbst Mortimer, der unter einem zu kleinen Penis leidet, ist zwar liebenswert, aber auch er ist dem Spott preisgegeben. 

Wenn er endlich sein Leben in die Hand nimmt, zum Star Maker vordringt, trifft er auf eine Welt, die nach eigenen Regeln lebt. Sie fertigt sich ihre Stars aus der Retorte. In den Labors der berühmtesten Wissenschaftler. Nur leider bringen diese makellosen Stars auch Schwierigkeiten mit sich.

Goj I schmilzt unter dem heißen Studiolicht. Goj II trotzt allem Hype als einer der erfolgreichsten Filmstars aller Zeiten, verfällt dem Alkohol und übersteht die Liebesnacht mit einem Callgirl nicht. Während Goj III, die absolute Perfektion, eines Tages einfach in die Luft fliegt. Was die Wissenschaftler dazu veranlasst, sich biologischen Waffen und der Wasserstoffbombe zuzuwenden, weil da mehr Geld zu verdienen ist. Eine wunderbare Farce auf die Traumfabrik Hollywood.

"Cocksure" ist sicher nicht für jeden Leser geeignet, weil der Roman maßlos ist. Hemmungslos mit Träumen, Ängsten und heimlichen Sehnsüchten um sich wirft. Zumal der Titel " Cocksure" mit anmaßend übersetzt werden kann, aber auch dem Slang entnommen, sich mit einer gewissen Größe bei Männern beschäftigt.

Eine überdrehte Farce. Nichts für Liebhaber erhabener Klänge.

 

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