Wie Barney es sieht

  • München: Liebeskind, 2012, Titel: 'Wie Barney es sieht', Seiten: 464, Übersetzt: Anette Grube
Wie Barney es sieht
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Wolfgang Franßen
921001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Von einem Kotzbrocken, der auszog die Welt zu erobern.

Hat es schon einmal einen größeren Helden in der Literatur gegeben? Die einen werden sagen: Hamlet. Deutsche Anhänger: Faust. In Südamerika werden andere Autoren genannt als in Japan. Doch Barney Panofsky ist der Held schlichthin. Er ist gnadenlos am Leben vorbei geschrammt, obwohl er alles erlebt hat. Selbst unter Mordverdacht steht er nun. Er kann mit seinen Seifenopern noch so viel Geld verdienen. Er könnte wie Elizabeth Taylor statt dreimal gleich achtmal heiraten. Er würde immer ein Junge mit großen, staunenden Augen bleiben, der nicht so ganz versteht, was da eigentlich um ihn herum passiert, obwohl er kräftig mitmischt. Obwohl er immer eine Entschuldigung für sich findet und in die Welt hinausposaunt, was ihn ankotzt.

Mordecai Richler, 1931 in Montreal als Sohn eines Schrotthändlers geboren, hat uns einen Romantiker ganz eigener Art beschert. Hemmungslos in Miriam, seine dritte Ehefrau, verliebt, die er ausgerechnet auf der Hochzeit mit der zweiten Ehefrau kennenlernt, ist Panofsky vor allem eins, gegen seine Gefühle machtlos. Er lebt ungefiltert. Sei es im Nichtverstehen, sei es in seinen Wutausbrüchen, sei es in seiner Trauer um verlorene Freundschaften. Das macht ihn sympathisch, obwohl er säuft, betrügt, jeden Vorteil ausnutzt und den Melancholiker gibt.

Gleichermaßen aus Selbstverteidigung verfasst er seine eigenen Memoiren. Auch gegen das Vergessen an, das ihn mehr und mehr seiner Erinnerungen beraubt. Er ist ein Spieler. Einer jener Sorte, der sich nur dann richtig fühlt, wenn er verliert. Er hat Erfolg. Er ist mit der Frau verheiratet, der er jahrelang nachgestiegen ist. Er hat Kinder, die ihn lieben. Der Mann hat alles. Und doch wird er nach 30 Jahren Ehe Miriam aus Eifersucht wegen einer Unbedachtsamkeit verlieren. Und hier fängt das Drama des großen Helden an. Alles Gute in seinem Leben erfüllt ihn nur zum Teil. Es ist diese feine kleine Lücke, die sich einfach nie schließt, die ihn antreibt, Fehler begehen lässt. Dagegen hilft nichts. Kein Geld, keine Liebe, keine Freundschaft.

So ist es nicht verwunderlich, dass seine Freundschaft zu Terry McIver ihn in eine Tragödie zieht. Alle Welt glaubt, dass er seinen besten Freund erschossen hat. Nur kann es niemand beweisen. Wäre da nicht ein manischer Polizist, der das Ganze nach Jahren noch einmal aufdröselt und in einem Buch behauptet, Panofsky wäre gleichermaßen mit einem Mord davon gekommen, würde es keinen mehr interessieren. Das Problem ist, Panofsky kann sich nicht mehr so genau erinnern. Er war betrunken, als es geschah. Wie für vieles in seinem Leben hat er dafür allerdings nichts als Spott übrig. Auch wenn die Chronisten mittels Fußnoten und einem Nachwort die Verfehlungen in Barneys Erinnerungen ans Tageslicht zerren.

Der zweimal mit dem Commonwealth Writer’s Prize ausgezeichnete Richler hat einen Vertreter jener Spezies beschrieben, die durch ihre Bauernschläue zwar allen überlegen zu sein glauben, aber die sich immer wieder in die Nesseln setzen. So erleben wir Barney Panofsky als Gestrandeten. Einsam auf seiner Insel den Zigarren und dem Whiskey zugetan. Als Sieger nach dem Sieg. Wie oft fragen wir uns nach einem glücklichen Happy End: Und? Wie hat das Paar die nächsten zwanzig Jahre überlebt? Richler gibt eine Antwort auf die Frage: Gar nicht.

Immerhin hat Barney seine erste Frau nur geheiratet, weil er glaubte, sie sei schwanger von ihm, um bei der Geburt festzustellen, dass er unmöglich der Vater sein konnte. Also Glück gehabt. Die zweite Frau, eine verwöhnte jüdische Schickse, begeht den Fehler, ihn mit seinem besten Freund zu betrügen. Wiederum Glück gehabt. Es kommt zur Scheidung. Barney ist frei für seine große Liebe Miriam. Für die Mutter seiner Kinder. Endlich. Fürs Glück.

Nur wissen wir da längst, dass er es vermasseln wird. So zielstrebig Barney auch erscheinen mag, so boshaft er auch nach den Seiten austeilt, so hilflos erscheint er. Nicht nur, weil sein Gedächtnis ihn im Stich lässt, sondern weil er nicht anders kann, als er selbst zu sein. Und das macht ihn zum größten Helden der Literatur überhaupt. Das sind nämlich alle Helden. Mögen sie von Shakespeare in Verse geschmiedet, von Tschechow mit Sehnsucht angereichert sein, mögen sie dem Magischen Realismus eines Márquez oder der skandinavischen Tristesse eines Ibsen oder Strindbergs verfallen, sie können nicht anders, als sie selbst zu sein.

Obwohl es viele Szenen in diesem Roman gibt, in denen sich Barney wie ein Tollpatsch durchs Leben bewegt, naiv ist, dann wieder selbstgerecht und unnachgiebig agiert, vermag Mordecai Richler nie zu verhehlen, wie sehr er diesen Barney doch mag. So dass er ihm sein Kotzbrockentum verzeiht, mit ihm trauert, wenn sich das Leben Barney mal wieder nicht von der besten Seite zeigt.

So ist für mich in einem Jahr voller bemerkenswerter Neuerscheinungen ein Roman, der bereits 1997 erschienen ist, der "Roman des Jahres". Unterhaltung gepaart mit Wahrheit, Humor mit Verzweiflung, Betroffenheit im Schlepptau zynischer Weltsicht. Wut und Liebe sind unweigerlich ans Vergessen, ans Verzeihen gefesselt. Richler widersetzt sich der postmodernen Bestrebung, Literatur als etwas in sich Gespaltenes, als Reduktion, als permanentes Infrage stellen zu sehen.

"Wie Barney es sieht" ist opulent, politisch unkorrekt und mäandert sprachlich hemmungslos. Mordecai Richler brilliert. Wollen Sie dem größten Helden der Literatur begegnen?

Lesen Sie "Wie Barney es sieht".

Wie Barney es sieht

Mordecai Richler, Liebeskind

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