Der Aufstand der Ungenießbaren
- Luchterhand
- Erschienen: Januar 2012
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- : Luchterhand, 2012, Titel: 'Der Aufstand der Ungenießbaren', Seiten: 192, Übersetzt: Alida Bremer
Ein literarischer Aufstand, aber sehr genießbar.
Edo Popović erschafft eine fantastische Welt, so brutal und grausam, wie die reale Welt sein kann. Dass die Welt aber nicht nur brutal sein kann, sondern auch brutal ist, vergisst und übersieht man oft, wenn uns der Zeitdruck durch den Tag hetzt und wir in den wenigen Wochen Urlaub im Jahr nichts als "den Kopf ausschalten" wollen: Man macht keinen Urlaub in Srebenica, man macht sich besser nicht zu viele Gedanken über den Waffenexport der BRD und der Finanzmarkt ist sowieso undurchsichtig. Wir sind macht- und ideenlos. Das haben die Figuren in Der Aufstand der Ungenießbaren mit uns gemein – was aber nicht heißt, dass wir es hier mit tatenlosen Figuren und ausufernden Naturbeschreibungen zu tun haben.
Nichtsdestoweniger sind es gerade Beschreibungen, ob von Natur oder Stadt, die den kontemplativen, beruhigenden Gegenpol zur enormen Geschwindigkeit des Plots bilden.
Unter einem schnellen Plot hat man sich ungefähr das vorzustellen: Auf fünf Seiten werden 20 Massenmörder eingeführt, teils echt, teils fiktiv, während gleichzeitig eine Fankultur zu diesem vermeintlich "rein Bösem" aufgebaut wird. Und während man sich noch fragt, wie Massenmörder Groupies bekommen können, sind die Protagonisten, die für fünf Seiten aus dem Roman verschwunden waren, in einem Spanien zu Besuch, das als einziges Land Europas keine Tyrannei verkörpert.
Kurz darauf wird eine Utopie entworfen, eine Gegengesellschaft zu den Mörder-Groupies, die alleine vom Müll lebt, keinen Wettbewerb kennt und das menschenfressende System eines pervertierten Kapitalismus unterwandert, indem Spiele gespielt werden, die nicht gewonnen werden können und nicht gewonnen werden müssen. Das Bild, das Popović dabei von der Gesellschaft zeichnet, ähnelt viel eher einem Tryptichon als der Welt eines linear und kohärent aufgebauten Romans – das macht es auch so schwierig, die Leinwand, vor der die Hauptpersonen agieren, aufzuzeigen. Rein logische, direkte Verknüpfungen sucht man in "Der Aufstand der Ungenießbaren" vergebens.
Dennoch sind viele der Zukunftsbeschreibungen beängstigend plausibel – und dazu noch sprachlich brillant verfasst. Sprachliche Brillanz heißt aber nicht, dass oben genanntes Spiel mit "Binde die Wolke" einen äußerst poetischen und treffenden Namen erhalten hat (und an dieser Stelle ist es vielleicht wichtig, die tolle Leistung der Übersetzerin Alida Bremer zu nennen), sondern auch erzählerisch virtuos eingebunden wird:
"AUS DEM REGELKATALOG DES SPIELS ´BINDE DIE WOLKE´ […]:
Da jeder Mensch einzigartig und einmalig ist, […]
da ein Wettbewerb nur dann Sinn hat, wenn identische Einzelne gegeneinander antreten, […]
IST JEDER WETTBEWERB SINNLOS"
Doch obwohl das Stück komplex aufgebaut und surreal verschachtelt ist, lässt es sich doch ohne Anstrengung verfolgen – die Tagesschau mit ihren Absurditäten ist verwirrender. In einem Erzählstrang geht ein Protagonist namens Vida, ein Veteran aus serbisch-kroatischen Kriegen, in den Wald, die Natur und trifft auf einen Veteranen der anderen Seite. Das ist dann keine romantische Versöhnung, genauso, wie es keinen Grund für das Aussteigen Vidas aus der Gesellschaft gibt. Wo es wieder einen Schnittpunkt zwischen dem Buch und uns gibt: Wir sind machtlos, auch in metaphysischer Hinsicht; gehen in den Wald auf eine Suche, die wir nicht verstehen.
Wenn man versucht, Der Aufstand der Ungeniessbaren wie einen Roman von Theodor Fontane zu lesen, ist es ein anstrengendes Buch – die starken Szenen und brutalen Schnitte wirken für sich, entwickeln ihren eigenen Strom, der bis zum innersten des Menschseins dringt und hochaktuell ist – da reicht schon ein kurzer Blick nach Brasilien oder in die Türkei.
Popović stellt die Verzweiflung einer Gesellschaft dar, ohne zu verzweifeln. Und doch fühlt man mit der Verzweiflung. Man kann Der Aufstand der Ungenießbaren nur schlecht umschreiben. Man sollte es einfach lesen. Man versteht die anscheinend so fremden Griechen oder "Die jungen Türken" und "Die fußballverliebten Brasilianer" sehr viel besser – denn man erkennt sie nicht mehr als Staatsbürger der Fremdheit, die sich mehr oder weniger grundlos aufregen – man erkennt vor allem die Gründe für die oft stille Wut und die Sprachlosigkeit.
Und es sind Gründe, die jegliches Nationaldenken an den Wurzeln packen und ausreißen wollen – es aber noch nicht schaffen, weshalb man dem Buch nur möglichst viele Leser wünschen kann.
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