Black Jesus

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Wolfgang Franßen
841001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Storyteller

Dass Kriege, selbst wenn sie gewonnen wurden, vor allem die Niederlage nach Hause tragen, ist eine Binsenweisheit. Sind erst einmal alle Siegesfeiern abgefeiert, die Reden gehalten und die Orden in die Schachteln zurückgelegt, hinter Glas an die Wand gehängt, beginnt das Vergessen für jene, die nur aus der Ferne zugesehen haben. Noch heute erscheinen Romane oder auch Tatsachenberichte über den Vietnamkrieg, damit sie der Bewältigung des Schreckens dienen.

Der 1976 in Palenville, New York geborene Simone Felice ist nie im Krieg gewesen. Trotzdem hat er einen Coming-Home-Roman ganz eigener Art geschrieben. Er versammelt in "Black Jesus" eine Handvoll Menschen in einem Ort namens Gay Paris, die eines verbindet, sie leben wie am Straßenrand abgestellt, als Trödel. Sie wissen, wie ihr Leben einst aussah, nun sind sie nur noch gebraucht zu haben.

Dem jungen Marine Lionel White, den seine Kameraden im Irak "Black Jesus" nannten, hat eine Straßenbombe das Augenlicht geraubt. Von seinem Opfer für Amerika bleibt nicht mehr als eine Nachricht im Fernsehen mitsamt der genauen Opferzahl zurück. Er kehrt erblindet heim und wird von seiner dicken Mutter Debbie in einem schrottreifen Chrysler nach Hause gefahren, wo sie ihn unterm Dach einquartiert.

White Trash in Catskill Bergen. Black Jesus ist ein Veteran mit erst neunzehn Jahren. Simone Felice schafft es, die innere Düsternis, das Begreifen, was da eigentlich mit einem passiert ist, fast autistisch zu beschreiben. Wäre es nicht besser gewesen, tot im Krieg zurückzubleiben, statt vollgepumpt mit Schmerzmittel, ewig auf die Hilfe anderer angewiesen sein? Wäre es nicht gar für Debbie besser gewesen, ihren Sohn zu beerdigen, als sein Elend Tag für Tag vor Augen zu haben.

Simone Felice ist der ehemalige Sänger und Schlagzeuger der Folk/Country Band "The Felice Brothers" und der "The Duke & The King". Im Heyne Verlag wurde der Roman in der Reihe "Hard Core" veröffentlicht. Selten hat ein Etikett so getroffen. Realismus pur. Mit zwölf litt Felice an einem Gehirnaneurysma und wurde kurz für klinisch tot erklärt. Er verbrachte zwei Monate auf der Intensivstation und musste ernst lernen, seinen Körper zu beherrschen. Er weiß, was es bedeutet, sich selbst und anderen ausgeliefert, ständig auf Hilfe angewiesen zu sein. Vielleicht mischt er deswegen dem Roman die Aussicht auf Hoffnung unter. Das Leben geht immer weiter.

Auch für Nachtclubtänzerin Gloria. Selber auf der Flucht, nachdem ihr das Bein gebrochen wurde, als sie die Aufnahmeprüfung in eine Tanzcompagnie geschafft hat. Sie wird durch eine glückliche Fügung nicht zum Krüppel. Ihre Beine werden rechtzeitig von einem Fremden geschient. Nun erscheint sie in Gay Paris wie ein Engel mit zerrupften Flügeln und entreißt Lionel White seiner selbst auferlegten Einsamkeit. Kitsch? Wohl eher der Versuch, Missbrauch und Mord der Theatralik zu entreißen, nackt zu zeigen, wie die Angst einen antreibt, weil man weiter leben muss.

Dies könnte zu einem Krimi à Jim Thompson anwachsen. Doch Felice vermeidet jeglichen Thrill. Er beschreibt die Tage, nachdem das Eigentliche längst geschehen ist. Hard-Core-Romantik? Wenn der Autor Glück zulässt, dann ist es so brüchig, dass es einem gleich wieder genommen werden kann.

Der große amerikanische Traum ist an irgendeiner Ausfahrt hängengeblieben. Die Opfer des Krieges kehren in die amerikanische Weite, die Kleinstädte heim. Und nur wenige haben wie Gloria den Mut, sich selbst aus diesem Rennen zu nehmen und weiter an sich zu glauben.

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