Sex ist verboten

  • Kunstmann
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • München: Kunstmann, 2012, Titel: 'Sex ist verboten', Seiten: 320, Übersetzt: Ulrike Becker
Sex ist verboten
Sex ist verboten
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Wolfgang Franßen
841001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Ich nehme mir dann mal einen Burn Out.

Auf der Suche nach dem Urheber des beliebten Spruchs: "Sport ist Mord" landen wir mal bei Churchill oder hierzulande bei Robert Lemke, dem verstorbenen Quizmaster. Nicht selten wird damit die Vorliebe entschuldigt, dass wir selbst gerne sitzenbleiben, statt uns schweißtreibend, gelenkverschleißend, dem Verdursten nahe mit unseren Laufschuhen in den Wald zu flüchten. Oder noch besser im gestylten, von Personal Trainern übervölkerten und mit neuesten Ernährungsanalysen ausgestatten Fitnessstudio aufs Laufband zu steigen. Dass Sitzenbleiben einem mitunter das Leben retten kann, davon hat Tim Parks bereits in seinem letzten Roman "Die Kunst stillzusitzen" berichtet, als er seine drohende Prostata-Operation mit all ihren Nebenwirkungen selbst heilte, indem er in sich ging.

In seinem neuen Roman nimmt er uns mit in einen Buddhistischen-Retreat, zu einem spirituellen Rückzug aus dem Alltag ins Dasgupta-Institut. Nur dass Beth Marriot alles andere als die besten Voraussetzungen mitbringt, um mit Hilfe der Meditation ihre innere Mitte zu finden. Beth mag Sex. Egal mit Männern welchen Alters, egal ob mit Frauen. Das letzte Abenteuer allerdings hat ihre Seele in Unordnung gebracht.

Beth ist von der Natur aus gesegnet. Sie fällt auf und findet sich nun in einem Kreis wieder, der streng nach Männern und Frauen getrennt ist. Im Speisesaal wird gar eine Wand eingezogen. Bei der gemeinsamen Meditation ist höchstens ein flüchtiger Blick über die Reihen hinweg auf den Männerblock erlaubt. Ein westliches Auffanglager für Beinahe-Selbstmörder, ein Refugium für Überspannte, die alle Therapien ausprobiert haben. Nun als die Einkehr zu sich selbst. Die Christen praktizieren das seit Jahrtausenden, errichten allerdings Klostermauern drum herum.

Beth Marriot ist eine ehemalige Sängerin, eine Drama-Queen, eine, die sich in der Hatz durchs Leben verloren hat. Monatelang versteckt sie sich als Helferin im vegetarischen Restaurant des Dasgupta-Instituts. Wovor? Vor der Liebe? Um einen Mann zu vergessen, der sich nicht binden wollte? Vor der Tragödie, die sich im Laufe des Romans entblättert?

Sie kocht, sie räumt die Zimmer auf, sie stöbert herum, sie liest in geheimen Tagebüchern. Nichts Privates ist im Retreat erlaubt. Glaubt man zu Anfang noch, dass die Schließfächer, in denen man beim Eintritt seine persönliche Sachen verstaut, jederzeit zugänglich sind, muss man erfahren, dass das Handy, das Lieblingsbuch oder die Fotos für die Dauer des Retreats weggeschlossen bleiben. Ein spirituelles Knastleben, bei dem man nach dem morgendlich stundenlangen Meditieren seinen geschundenen Rücken am liebsten gegen eine Wand anlehnen würde. Nur sind nicht genug Wände da. So dass trotz aller spiritueller Einkehr das Motto lautet: Wer zuerst da ist, mahlt zuerst. Nicht einmal hungern darf Beth, obwohl ihr nach innerlicher Entschlackung ist. Es gibt eiserne Regeln, die es zu beachten gilt.

Für alles gibt es schließlich ein Rezept. Wenn du abnehmen willst, iss nach fünf Uhr nur noch Äpfel, rät mancher Arzt. Wenn du einer von diesen dekadenten westlichen Seelenkrüppeln bist, lerne zu schweigen, leere deine Gedanken und pass auf, was geschieht. Tim Parks erzählt davon mit einer großen Portion unterschwelligem Humor, obwohl er selbst erfahren hat, dass ein solches Konzentrieren auf sich wirkt. Auch wenn die Fragestunden an Hohlheit kaum zu überbieten sind, die Lehren des Gurus per CD eintreffen, gipfelt der ganze Spaß doch darin, dass der Roman zumindest eine Lösung für überarbeitete, ausgebrannte Verleger und Autoren bereithält: Sie sollten dafür bezahlt werden, dass sie nichts mehr veröffentlichen.

Schon in "Stille" hat Tim Parks den berühmten Fernsehjournalisten Harold Cleaver in die selbst gewählte Isolation geführt. Das Bedürfnis nach Stille und der Schrecken über eine Biographie seines Sohnes lässt ihn in ein entlegenes Dorf in Südtirol fliehen, um eine Hütte über der Lärmgrenze zu finden. Nähert sich Parks in diesem Roman noch der existenzialistischen Suche nach Sinn, befreit er sich von der Enge der selbstauferlegten Angst in "Sex ist verboten", indem schreibt:

"Ich bin wieder da, wo ich in den ersten Tagen im Dasgupta-Institut war. Nur dass ich diesmal die Technik schon kenne. Gott sei Dank. Ich weiß, wie ich den Atem auf meiner Lippe spüren kann. Ich weiß, wie man still sitzt, wie ich mich beruhigen kann, wie ich einen Gedanken ganz schnell ausschalten kann. Die Flut ist stark und die Wellen sind hoch, aber mein Kissen ist ein Fels in der Brandung. Ich kann still darauf sitzen. Meine Zeit im Dasgupta-Institut ist nicht umsonst gewesen."

Wenn’s hilft. Warum nicht? Tim Parks hält seinen Schweigenden einen Spiegel vor die Nase. Als sie wieder reden dürfen, platzt alles aus ihnen heraus. Was sie alles durchgemacht haben. Wie sie doch gelitten haben. Und siehe da, alles ist beim Alten.

Bis auf das Kissen unterm Hintern.

Sex ist verboten

Tim Parks, Kunstmann

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