Lügen auf Albanisch

  • : carl's books, 2012, Titel: 'Lügen auf Albanisch', Seiten: 320, Übersetzt: Susanne Aeckerle
Lügen auf Albanisch
Lügen auf Albanisch
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Michaela Hövermann
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Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Mäßig sympathisches Ensemble im Zirkus der Eitelkeiten

Die 26-jährige Albanerin Lula muss endlich keine Angst mehr haben, als illegale Einwanderin aus den USA abgeschoben zu werden: Mit List und Tücke hat sie es geschafft. Doch dann kommt die Liebe ins Spiel.

Zwar fühlt sich Lula im gelobten Land noch immer fremd, hat es aber gut getroffen. Sie lebt und arbeitet als Nanny in einem "Ziegelschlachtschiff" von Haus in New Jersey bei Stanley Larch ("Mister Stanley"), ehemals Wirtschaftsprofessor, jetzt an der Wall Street, und genießt die Annehmlichkeiten des Lebens in der oberen Mittelschicht. Larchs Frau hat sich abgesetzt und ihren schwermütigen Mann mit dem rebellischen Teenager-Sohn Zeke zurückgelassen. Der macht auf Konfrontation, steht auf Piercings, Vampire, schwarze Klamotten und hat sicher einiges nötig. Ein Kindermädchen allerdings ganz sicher nicht. So verbringt Lula weitgehend ereignislose Tage vor dem Fernseher, mixt sich und Zeke Cocktails oder lässt sich von ihm um die Ecke zum Good Earth Supermarkt ("alles sehr bio und teuer") kutschieren. Bis drei Albaner in einem SUV auftauchen und Unruhe in die Tristesse bringen. Ganz besonders Alvo, "der Süße", verdreht ihr den Kopf. Wie könnte sie da seine Bitte ausschlagen? Sie soll eine Waffe für ihn aufbewahren, eine ganz kleine... 

Im Mikrokosmos von Lulas neuem Lebensumfeld wird die amerikanische Gesellschaft mit all ihren zeitgenössischen Problemen und Unzulänglichkeiten sichtbar.  Allerdings hakt Francine Prose die einzelnen Themen ohne Tiefgang ab: Es geht um Konsumdenken, Schönheits- und Jugendwahn, Bildung und das Bildungssystem, die Medien, Depression, Perspektivlosigkeit, den Zerfall der Familie, Männlichkeit und immer wieder um die Einwanderungspolitik. So sind Moslems seit dem 11. September verhasst (sollte man bei Gesprächen mit Behörden stets einkalkulieren und viel das Wort "christlich" einfließen lassen). "Dunkelhäutige kleine Hühnerverpacker" will man im Land der mittlerweile recht begrenzten Möglichkeiten auch nicht.  Ganz generell begegnet man Einwanderern wahlweise misstrauisch oder herablassend. Die amerikanischen Frauen sind oberflächlich und dem Jugendwahn verfallen, die Männer stupide vor sich hinvegetierende Depressivlinge, die sich mit rührseligen Geschichten für dumm verkaufen lassen. Jugendliche entgleiten der elterlichen Kontrolle. Bildung wird klein, Fassade groß geschrieben. Und über allem hängt bleischwer die Langweile. 

Das ist tödlich. Vor allem für die Leser. Lula kann sich wenigstens mit kleinen Storys in ihre Fantasiewelt retten und Seemannsgarn über Blutfehden in Albanien zusammenspinnen.  Oder farbenprächtige Folklore als autobiographisch verkaufen. Ein kleiner Trost. Immerhin.

Letztendlich bleibt die Kritik an der amerikanischen Gesellschaft trotz ihrer Fülle zahm und ohne Originalität. Spannungsfrei, tempoarm und sprachlich simpel gehalten plätschert die Handlung vor sich hin. Leicht lesbar, aber auch ohne großen Reiz. Man möchte nicht wirklich wissen, was die – bestenfalls mäßig sympathische - Protagonistin noch auszustehen hat; gerade zu Beginn ist man im Wesentlichen damit befasst, der Einwanderungsbehörde die Daumen zu drücken… Im letzten Dritten kommt doch noch so etwas wie Schwung in die ganze Sache, sodass sich das Durchhalten wenigstens ein wenig rentiert.

"Lügen auf Albanisch" will die Geschichte eines Neuanfangs erzählen. Allerdings wirkt der Ton für eine frisch in den USA eingewanderte Frau wenig glaubwürdig. Sie weiß zu viel, hat die Gesellschaft längst seziert und trennt sorgsam zwischen der "Fernsehversion des amerikanischen Lebens" und der von Suppenküchen und Pappkartons geprägten Realität der Armen, Kranken und Ausgestoßenen.

Da dringt zu sehr Francine Prose selbst durch. Die 1947 geborene amerikanische Autorin und Redakteurin von Harper's Magazine lebt in New York und ist sich der Missstände in ihrem Land wohl bewusst. 

Vielleicht ist der versuchte Spagat zwischen Unterhaltungsliteratur, Liebesgeschichte, Kriminalroman und Gesellschaftskritik einfach zu groß. Ihre Identitätskrisen kriegen die Mitglieder der Larch-Familie bis zuletzt kaum in den Griff. Es scheitert an der traurigen Eindimensionalität, mit der Prose ihre Figuren zeichnet:  Echte Charakterentwicklung sucht man vergebens. Letztendlich zeigen sich die Amerikaner als unflexibel, festgefahren oder schlicht verrückt, was einen scharfen Kontrast zu der Lebendigkeit, Intelligenz und Normalität der Albaner bildet. Die geben den Einfaltspinseln, was sie hören wollen, sei es in Form von Geschichten, sei es in Form einer frisierten College-Bewerbung oder in Form sexueller Gefälligkeiten. 

So hat sich Lulas beste Freundin und Shopping-Begleitung Dunia, ebenfalls Albaner, einen reichen amerikanischen Schönheitschirurgen geangelt: Steve. So geht's auch. Keine Probleme mit der Green Card, und was hängt oder schwabbelt, spritzt Steve auf oder schnippelt es weg. Gutaussehend ist er zwar nicht, aber die pralle Geldbörse macht einiges wett - und ist das eine oder andere Opfer wert.  Spart immerhin das Fitness-Studio, um das die um ihren Körper besorgte Lula wohl nicht herumkommt.

Eine gewisse Situationskomik ist der Erzählung sicher nicht abzusprechen; durchgehend gute Unterhaltung vermag das Buch dennoch nicht zu bieten. Dafür bleiben Handlungsgerüst und Handlungsträger schlicht zu uninteressant gestaltet. Die Charaktere sind eben nicht schräg; sie sind langweilig. Das reißt auch die tatsächlich überraschende Wendung im letzten Drittel des Buches nicht mehr raus.

"´Lügen auf Albanisch´ ist ironisch, geistreich und voller genialer Überraschungen" lobt die New York Times. Tja, was sagt man dazu. Amerikaner sind einfach naiv und fallen auf belanglose Geschichten herein…

Lügen auf Albanisch

Francine Prose, carl's books

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