Warriors

  • Zürich: Unionsverlag, 2008, Titel: 'Warriors', Seiten: 336, Übersetzt: Gabriele Pauer
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Lutz Vogelsang
751001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Kümmerliche Krieger

Die Hekes sind Maori und beileibe keine Vorzeige-Familie. Während eines ihrer sechs Kinder vor dem Familienrichter steht, schläft Vater Jake seinen Rausch aus. Auch Mutter Beth wacht erst Stunden zu spät auf. Allerdings hätte sie es in ihrem Zustand sowieso nicht zum Gericht geschafft, nachdem ihr Mann sie in der Nacht zuvor grün und blau geschlagen hat – weiß Gott nicht zum ersten Mal! So steht dem Jungen nur seine kleine Schwester Grace bei, die natürlich nicht verhindern kann, dass der Staat die Vormundschaft für ihren Bruder übernimmt und ihn in ein Heim steckt. Bleiben noch fünf Kinder übrig. 

Eigentlich eher vier. Den Zugang zu ihrem Ältesten, Nig, hat Beth schon lange verloren. Der treibt sich viel lieber prügelnd auf der Straße herum und versucht, bei den berüchtigten Brown Fists aufgenommen zu werden, einer der Gangs, die die Lebenserwartung ihrer "Brüder und Schwestern" erheblich verkürzen. Doch so sehr sich Beth auch bemüht, über alle Erniedrigungen hinwegzusehen und die Familie zusammenzuhalten – es will ihr nicht gelingen. Und so wird Nig auch nicht das letzte Kind sein, das sie verliert.

Das ganze Drama der Familie hat einen Namen: Jake "The Muss" Heke. Ein Vater, der keinerlei Interesse an Frau und Kindern hat, sondern immer nur auf seinen Status innerhalb des Viertels bedacht ist. Er verkörpert die gesamte Tragik der Familie, denn er ist gleichermaßen Täter und Opfer. Es mag schwer fallen, Mitleid für diesen gewalttätigen, selbstgerechten Tyrannen zu entwickeln, der  Monat für Monat die Hälfte der Sozialhilfe in Alkohol investiert. Aber genau das geschieht. Seine soziale Inkompetenz, seine Hilflosigkeit, seine Gefühle zu äußern und sein chronisches Selbstmitleid, das ihn sich selbst ebenso hassen lässt wie die "Pakehas", die fremden Europäer; all das lässt im Laufe des Buches diesen Mann mit Oberarmen wie Baumstämme zu einem kümmerlichen Nichts schrumpfen.

So asozial die Hekes auch wirken mögen, sie sind wahrlich kein Sonderfall in Pine Block, einem Maori-Ghetto einer neuseeländischen Kleinstadt. Dieser Welt für sich, die unter Gewalt und Armut zu ersticken droht. Die Familie ist vielmehr Prototyp, ein Abbild einer archaischen, verwahrlosten Gesellschaft, in der nur noch das Recht des Stärkeren zählt. Eine Gesellschaft von zu Schlägern verkommenen Kriegern, die ihr Geistesleben gegen ständigen Rausch eingetauscht haben. Eine entwurzelte Kultur ohne Führung und ohne Perspektive. Und doch liegt gerade in ihrer vergessenen und verdrängten Kultur der Schlüssel für ein besseres Leben. Die Vergangenheit als Sprungbrett in die Zukunft?

Mit "Warriors", das im Original bereits 1990 erschien, ist Autor Alan Duff ein Sensationserfolg gelungen. Das Buch entfachte eine brisante Debatte über die Rolle der Maori in Neuseeland, und auch die folgende Verfilmung, in Deutschland unter dem Titel "Die letzte Kriegerin",  brach sämtliche Rekorde. Die zwei Nachfolger, die die Geschichte der Hekes zu Ende erzählen, sind auf Deutsch noch nicht erschienen.

Es ist offensichtlich, wie viel eigene Erfahrung Alan Duff in diesem wütenden Buch verarbeitet hat. Als Sohn einer Maori und eines Europäers ist er in den Konflikt zwischen den Kulturen hineingeboren. Der Name der fiktiven Kleinstadt, Two Lakes, ist folgerichtig eine Übersetzung seiner Heimatstadt Rotorua.

Sicher, die Geschichte des Buches ist nicht wahnsinnig originell. Leben und Sterben im Ghetto, das Verlieren der eigenen Kinder an Gangs. Gewalt, Drogen, Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit. Schließlich doch der Hoffnungsschimmer durch die Rückbesinnung auf die eigene Kultur... Was dieses Buch dennoch zu etwas Besonderem macht, ist nicht nur die schonungslose Offenheit und Brutalität – auch das ist oft genug geschrieben und gezeigt worden; es ist der kulturelle Hintergrund. Es ist eine Geschichte, die für die meisten Leser neu sein dürfte, da sie diese fremde Kultur nicht kennen. Alan Duff erzählt ein Familiendrama, wie es in Armenvierteln auf der ganzen Welt spielen könnte, und bringt uns nebenbei eine ganze Kultur näher.

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