Ein Lied für meine Tochter

  • Lübbe
  • Erschienen: Januar 2012
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  • : Lübbe, 2012, Titel: 'Ein Lied für meine Tochter', Seiten: 576, Übersetzt: Rainer Schumacher
Ein Lied für meine Tochter
Ein Lied für meine Tochter
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Rita Dell'Agnese
591001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Brisantes Thema breits ausgewalzt

Die Bestsellerautorin Jodi Picoult ist dafür bekannt, dass sie in ihren Romanen kein Blatt vor den Mund nimmt und sich auch nicht scheut, Tabu-Themen anzusprechen. Gleich mehrere umstrittene Themenbereiche führt sie in ihrem Roman "Ein Lied für meine Tochter" zusammen: Homosexualität vor dem Hintergrund einer streng christlichen Gesellschaft, moderne Fortpflanzungstechnik, Alkoholismus und psychische Störungen bei Teenagern sowie deren Behandlung. Das alles ergibt eine Geschichte, die zum Nachdenken anregen kann – wenn die Leser offen genug sind, sich auf die verschiedenen Aspekte einzulassen.

Die zentralen Figuren des Romans sind die Musiktherapeutin Zoe und Gärtner Max. Die Ehe der Beiden zerbricht, als Zoe das langersehnte, gemeinsame Kind in der 28. Schwangerschaftswoche verliert. Denn bis es überhaupt zur Schwangerschaft gekommen ist, hat das Paar ein Labyrinth von Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung durchlaufen. Weder die Finanzlage des Paares noch die psychische Verfassung der Beiden lässt einen weiteren Versuch zu. Für Zoe bricht eine Welt zusammen, als Max sich von ihr trennt. Nur mühsam findet sie zurück in einen halbwegs normalen Alltag. Da begegnet ihr die Schulpsychologin Vanessa, mit der Zoe während einer Therapie zusammen gearbeitet hatte, sie dann aber aus den Augen verlor. Zwischen Zoe und Vanessa entwickelt sich eine lesbische Beziehung. Dieser steht Max zunächst hilflos, dann mit immer größerer Abwehr gegenüber. Denn er hat Trost in den Armen einer radikalen christlichen Gemeinschaft gefunden, die Homosexualität als Irrleitung verurteilt. Als Zoe und Vanessa sich darum bemühen, die von den künstlichen Befruchtungen übrig gebliebenen drei befruchteten Embryos auszutragen und ihre Ehe mit einem Kind zu krönen, wehrt sich Max mit Hilfe der Kirche gegen das Ansinnen. Er verlangt die Embryos für sich, um sie seinem Bruder und dessen Frau zu überlassen, die ebenfalls mit Fruchtbarkeitsproblemen kämpfen. Es kommt zum Prozess.

Die Ausgangslage ist klar: Bei den Embryos handelt es sich um die ungeborenen Kinder von Zoe und Max. Doch das Gesetz sieht keine Maßnahmen für diesen Fall vor. Hier setzt Jodi Picoult ein. Sie wirft die Frage auf, ob es sich bei den Embryos bereits um Kinder handelt, für die eine Vormundschaftsmaßnahme greifen kann – oder ob es sich hier lediglich um eine Substanz handelt. Ein Sorgerechtsprozess um die Embryos steht also auf tönernen Füssen. Detailliert legt Picoult die jeweiligen Argumente von Zoes Anwältin und Max´ Anwalt dar. So detailliert allerdings, dass mit Verlauf des Prozesses die Geschichte zäh wird und erheblich an Tempo verliert. Es braucht schon einiges Durchhaltevermögen, den stetigen Schlagabtausch der beiden Parteien mitzuverfolgen und an der Geschichte dran zu bleiben.

Angesichts der Tragweite des Entscheides, was mit den Embryos passieren soll, hätte es genügt, sich auf diesen Themenbereich zu fokussieren. Die Autorin greift jedoch mit dem Alkoholismus von Max sowie der psychisch gestörten Lucy, einem aus streng christlichem Haus stammenden Teenager mit Suizid-Absichten, weitere brisante Themen auf, die eine vertiefte Auseinandersetzung erfordern. Diese kann nebst dem Hauptthema aber nicht erfolgen, weshalb der Roman letztlich von Brennpunkten überfüllt scheint. Das tut der Geschichte nicht besonders gut. Jodi Picoult verliert sich in den Themen und fordert ihre Leser stark.

Mit ihrem Roman "Ein Lied für meine Tochter" hat Picoult eines der "amerikanischsten" Bücher vorgelegt, die sie bisher veröffentlicht hat. Der Prozess um die Embryos wie auch die Struktur der christlichen Gemeinde, in der Max seine neue Heimat gefunden hat, sind für europäische Leser eher ungewohnt und nicht in allen Bereichen nachvollziehbar. Dies sollte man sich vor Augen führen, bevor man sich auf die Geschichte einlässt. Trotz allem lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Thema und es stellt sich zum Schluss die Frage, wie es sich denn in Europa mit eingefrorenen Embryos verhält, wenn sich die biologischen Eltern getrennt haben und sich nicht einig über die Verwendung werden. Das alles mag aber nicht darüber hinweg täuschen, dass "Ein Lied für meine Tochter" nicht das stärkste Buch der Autorin ist und einige Abstriche zum gewohnten Erzähl-Tempo von Jodi Picoult gemacht werden müssen.

Ein Lied für meine Tochter

Jodi Picoult, Lübbe

Ein Lied für meine Tochter

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