Herzenstimmen

  • Blessing
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • : Blessing, 2012, Titel: 'Herzenstimmen', Seiten: 352, Originalsprache
Herzenstimmen
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Rita Dell'Agnese
761001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Sendkers zweiter Burma-Roman: reifer, aber weniger zauberhaft

Mit seinem Roman "Herzenhören" vermochte der Berliner Autor Jan-Philipp Sendker 2004 Hunderttausende zu bezaubern. Acht Jahre später knüpft der Autor mit dem Fortsetzungsroman "Herzenstimmen" an die Liebesgeschichte aus Burma an und erweckt die Protagonisten Julia Win und ihren Bruder U Ba zu neuem Leben. Doch kann es gut gehen, einen Faden nochmals aufzunehmen und eine neue Geschichte zu spinnen, wenn der erste Teil eben genau durch seine Andersartigkeit zu überzeugen wusste?

Jan-Philipp Sendker geht in seinem zweiten Burma-Roman sehr umsichtig zu Werke. Er lehnt seine neue Geschichte zwar unübersehbar an "Herzenhören" an, präsentiert aber ein völlig anderes Burma als noch in seinem ersten Roman. Es ist ein teilweise entmystifiziertes Land, die Macht des Militärs ist allgegenwärtig. Dies wird dem Leser ebenso vor Augen geführt, wie die Hilflosigkeit, mit der die Bevölkerung einem maroden System gegenüber steht. Mit diesem Sichtwechsel geht Sendker ein ebenso großes Risiko ein, wie mit dem Schreiben einer Fortsetzung von "Herzenhören" an sich. Das Publikum, das sich an der Poesie des ersten Buches orientiert, wird zunächst vor den Kopf gestoßen sein. In der Fortsetzung wird ihm eine Welt gezeigt, die keine verklärenden Blicke zulässt. Damit zieht Jan-Philipp Sendker eine klare Grenze zwischen den beiden Romanen. "Herzenstimmen" ist reifer, greifbarer als der Erstling. Die Geschichte hat dadurch aber auch an Zauber verloren. Erneut erzählt der Autor vom Schicksal eines Liebespaares. Dieses Mal jedoch stehen die beiden Söhne des Paares im Vordergrund. Sendker erzählt von der Liebe einer Mutter und vom verzweifelten Wunsch eines Sohnes, diese Liebe zu erleben. Für sich alleine gesehen steht dieser Teil des Buches dem Vorgänger kaum nach. Jan-Philipp Sendker ist ein hervorragender Beobachter und versteht es, eigene Erlebnisse so in Worte zu fassen, dass sie für andere als Bilder im Kopf sichtbar werden. Gerade bei der Umsetzung der burmesischen Geschichten kommt diese Stärke voll zum Tragen.

Es müssen aber Abstriche gemacht werden: Julia Win als Hauptfigur verliert im zweiten Teil weiter an Konturen – und leider auch an Glaubwürdigkeit. Die New Yorker Anwältin macht gerade eine persönliche Krise durch, als sie zum ersten Mal eine Stimme in ihrem Kopf vernimmt. Auf der Suche nach einer Erklärung reist die gestresste – und gegenüber dem ersten Buch um zehn Jahre ältere – Julia zum zweiten Mal nach Burma. Dort macht sie sich zusammen mit ihrem vor zehn Jahren entdeckten Bruder U Ba auf die Suche nach einer Erklärung für die Stimme im Kopf. Es stellt sich die Frage, ob es diesen eher etwas bemühten Rahmen tatsächlich gebraucht hat, um die eigentliche Geschichte des Romans zu erzählen, nämlich jene von Nu Nu, ihrem Mann Maung Sein und den gemeinsamen Söhnen Ko Gyi und Thar Thar. Letztlich stellt gerade der Part mit der Stimme eine der wenigen Schwächen des Romans dar.

Die Verbindung des Schicksals von Nu Nu und ihrer Familie mit den politischen Vorgängen in Burma ist Jan-Philipp Sendker gelungen. Dass er keinen Abklatsch von "Herzenhören" präsentiert, sondern einen Roman, der für sich selber sprechen kann, ist ihm hoch anzurechnen. Er hat den Bogen vom gefeierten Erstling zur überzeugenden Fortsetzung gut gezogen. Doch er hat auch Konzessionen gemacht und damit den "Herzenstimmen" eine schwere Hypothek aufgeladen, die dem Zweitling etwas von seinem an sich starken Charakter abzwackt. Störend wirkt sich hier auch der Cliffhanger aus, der sich logischerweise aus zwei nicht aufgelösten Fragestellungen und einem offen gehaltenen Ende ergibt. Sendker hätte solches nicht nötig, um Publikum für einen weiteren Burma-Roman zu haben.

Sieht man von den gewöhnungsbedürftigen Elementen im Zusammenhang mit der Protagonistin Julia Win ab, ist "Herzenstimmen" eine starke, ausgereifte und berührende Geschichte über Burma und seine Menschen. Als solche sollte Jan-Philipp Sendkers zweiter Burma-Roman auch verstanden werden. Dass der Autor erneut eine Liebesgeschichte präsentiert, ist angesichts dessen, dass diese Liebe vielschichtiger ist und auf anderen Ebenen stattfindet, durchaus vertretbar. Er gibt damit seinem zweiten Burma-Roman Tiefe und Überzeugungskraft. Und weckt – auch ohne Cliffhanger – das Bedürfnis, mehr über Burma und seine Menschen zu erfahren.

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