Die Erfindung der Kindheit

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • Berlin: Suhrkamp, 2012, Titel: 'Die Erfindung der Kindheit', Seiten: 167, Übersetzt: Susanne Lange
Die Erfindung der Kindheit
Die Erfindung der Kindheit
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Lutz Vogelsang
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Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2012

Kindheit im Schatten der Diktatur

Was habt ihr während der Diktatur gemacht? Habt ihr Widerstand geleistet? Warum nicht? Solche Fragen sind es, die der chilenischen Schriftsteller Alejandro Zambra seinen Eltern stellt. Besonders als Deutscher hat man eine Idee davon, wie schmerzhaft diese Fragen sein können. Während hierzulande die Aufarbeitung mit der NS-Diktatur schon 1968 seinen Höhepunkt hatte, hat dieser Prozess in Chile gerade erst begonnen. Die Schreckensherrschaft von General Augusto Pinochet hat tiefe Wunden hinterlassen, die in den letzten 20 Jahren nicht verheilen wollten.

Kinder im segensreichen Schatten

"Die Erfindung der Kindheit" ist ein treffender Titel für dieses Buch. Zambra, der das Ende der Militärdiktatur als Teenager erlebte, blickt auf seine Kindheit zurück und fragt sich, ob er von seinen Eltern, die sich komplett unpolitisch gaben und sich ins Privatleben zurückzogen, um seine "wirkliche" Kindheit betrogen wurde. Immer wieder spricht er vom "segensreichen Schatten", in dem er aufwuchs. Aber, gibt es ein richtiges Leben im Falschen?

"Eltern haben nie wirklich ein Gesicht. Nie lernen wir, sie richtig anzuschauen."

Genau so gut wie der deutsche Buchtitel passt aber auf der Originaltitel, übersetzt etwa "Arten, nach hause zurückzukehren" Zambra kehrt zurück. Er erinnert sich an seine Kindheit, aber auch an die vielen Male, die er als Erwachsener in sein Elternhaus gekommen ist. An seine Eltern, die ihre Angst nicht zeigten, um ihm eine sorgenfreies Aufwachsen zu ermöglichen. "Das ist der Roman unserer Eltern" -  Zambra und seine Generation sind nur die Nebenfiguren.

Der kleine Alejandro wächst in Maipú auf, einer stadtgroßen Kommune von Santiago de Chile. Während diese Zeit für das südamerikanische Land Jahre des Terrors und der Angst gewesen sind, waren sie für Alejandro Jahre unbekümmerter Idylle. Während im ganzen Land politische Gegner zu zehntausenden verschwanden, stromert er durch die Gassen seines Viertels und macht das, was Kinder eben machen. Beim großen Erdbeben von 1985 lernt er die etwas ältere Claudia kennen, die ihm als Nichte des Nachbarns Raul vorgestellt wird. Schnell entwickelt sich zwischen den beiden eine Art Freundschaft, die sich Alejandro allerdings bald verdienen muss. Claudia bittet ihn, seinen Nachbarn, ihren Onkel, nachzuspionieren.

Die Geschichte muss zu Ende erzählt werden!

Knapp 20 Jahre später. Alejandro wurde von seiner Frau "M" verlassen. Er, der mittlerweile Schriftsteller geworden ist, hadert mit seinem Leben und vor allem mit der Fertigstellung seines Buches – dieses Buches. Er will diese unvollendete Geschichte – sowohl Claudia als auch sein Nachbar waren von einem Tag auf den anderen verschwunden – unbedingt erzählen. Also macht er sich auf, seine Freundin von damals ausfindig zu machen. Und wirklich gelingt es ihm, sie wiederzufinden und sich die Geschichte von damals erzählen zu lassen. Eine Geschichte, die ganz anders ist als es anfangs den Anschein hatte. 

 "Die Erfindung der Kindheit" ist mit Sicherheit kein Buch, das mit einer ausgereiften Komposition besticht. Soll es wohl auch nicht. Gerade der ständige Wechsel zwischen Gegenwart und Kindheit, zwischen innerem Monolog und Unterhaltungen, erweckt das Gefühl von Authentizität und Aufrichtigkeit. Der Autor teilt nicht nur seine Kindheitserinnerungen mit dem Leser, sondern auch den Entstehungsprozess des Buches. Wir sind hautnah dabei, wie Zambra seinen Frieden mit seinen Eltern schließt, und werden zu Vertrauten.

Die Erfindung der Kindheit

Alejandro Zambra, Suhrkamp

Die Erfindung der Kindheit

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