Pola

  • Berlin: Berlin Verlag, 2012, Titel: 'Pola', Seiten: 304, Originalsprache
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Rosie Sabel
401001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

You don't know who I'am?

"Deine Zeit ist vorbei." Ein vernichtenderes Urteil hätte David O. Selznick, einer der einflussreichsten US-amerikanischen Filmproduzenten, nicht über Pola Negri fällen können. Denn die 1897 als Barbara Apolonia Chalupiec geborene, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene polnische Schauspielerin war eine der größten Stummfilmstars ihrer Zeit. Sie war die erste europäische Schauspielerin mit einem Studiovertrag in Hollywood, brillierte in vielen Produktionen von Ernst Lubitsch und war mit Rudolph Valentino und Charlie Chaplin verlobt.

"Es war der Tag, an dem Pola Negris Karriere zu Ende ging". Mit diesem glorreichen Satz beginnt Daniela Dröschers fiktionale Biographie "Pola". Der Tonfilm war geboren und verdrängte in den dreißiger Jahren sukzessive den Stummfilm. Waren zuvor Schauspieltalent und mimische Ausdruckstärke gefragt, verlangte das Publikum nun nach verständlichen Akteuren. Pola Negri hatte einen starken Akzent, war jedoch zu stolz und zu bequem, sich ihn abzutrainieren. Schnell galt sie als Kassengift. "Sie mögen es nicht, wenn du sprichst."

Daniela Dröscher zeigt uns eine unerträglich selbstverliebte Diva, die die Zeichen der Zeit nicht erkannte. Jahrelang erfolgsverwöhnt und hofiert von Männern und Studiobossen inszenierte sie sich weiterhin als Superstar und Femme fatale. Auch war ihr exotischer Typ längst nicht mehr gefragt und von Blondinen abgelöst worden. Trotz finanzieller Probleme lehnte sie es ab, Nebenrollen zu spielen und gönnte sich einen zwanzig Jahre jüngeren Liebhaber, denn "die Währung, mit der sie handelte, war der Skandal." Sie wurde 1934 nach Deutschland abgeschoben, wo sie für die UfA noch einige, mäßig erfolgreiche Filme drehte. 1938 ging in die Staaten zurück und arbeitete später als Grundstücksmaklerin. 

Als Leser leidet man 294 Seiten lang. Nicht mit Pola Negri, sondern wegen Pola Negri. Selten hat man über eine derart unsympathische Person voller Starallüren gelesen, die stets sämtliche Register zog, um zu ihrem Vorteil zu gelangen. Völlig selbstverständlich log und betrog sie, und um eine Rolle zu ergattern, ließ sie sich auch mit Drehbuchautorinnen ein. Greta Garbo "die Göttliche" war für sie "nur ein Gossenmädchen". Fragwürdig war auch ihre Rolle in Nazi-Deutschland. Pola galt als Hitlers "Pin up-Girl", und trotz ihres Vaters, eines slowakischen Roma, erhielt sie eine Arbeitserlaubnis. Die Mischung aus Egozentrik und Borniertheit macht Pola Negri zu einem schier unaushaltbaren Charakter. Passend dazu ihre letzten Worte auf dem Sterbebett zu dem behandelnden Arzt, der nicht wusste, wen er vor sich hatte: "You don´t know who I am?"

Als Leser leidet man jedoch auch an der Herangehensweise Daniela Dröschers an Pola. Die Vergangenheit der Schauspielerin wird bis auf wenige Episoden praktisch nicht erwähnt, die gesamte Persönlichkeit Polas einschließlich ihrer Entwicklung dorthin bleibt bis zum Ende geradezu fahrlässig unerklärt. Darüberhinaus vermischt Dröscher nach Lust und Laune wahre Begebenheiten mit fiktiven, was bei dem schillernden Leben der Schauspielerin nicht vonnöten gewesen wäre und nur zu weiterem Unverständnis für die Figur führt. So schläft der selbsternannte silent screen superstar nach einer Notlandung in einem Viehwaggon mit einem fremden Mann. Vor Publikum. Polas echte Exzesse hätten hier sicher mehr als genügt.

Dröschers Sätze sind häufig zu kurz, ihre seichte Sprache passt stilistisch nicht in die Romanzeit. So sagte z.B. eine Diva ihres Formats vermutlich damals nicht "Ruhig, Brauner" zu sich selbst. Dieser gezielt eingesetzte Sprach-Stilbruch Dröschers wirkt künstlich überhöht, er fördert nicht das Interesse an Polas Schicksal, sondern potenziert im Gegenteil die Ablehnung des Lesers.

Aufgrund der bewussten Vermischung von Realem mit Erfundenem sowie dem Weglassen der Vergangenheit bleibt Polas Charakter bis zur letzten Seite undurchschaubar, ihre Handlungen sind somit nicht nachvollziehbar und wirken teilweise grotesk. Aber sollte eine –wenn auch fiktionale– Biographie nicht zumindest den Versuch einer Erklärung oder wenigstens Annäherung unternehmen?

Immerhin gelingt es der 1977 in München geborenen Autorin, die für ihr Debüt "Die Lichter des George Psalmanazar" mit dem Anna-Seghers-Preis ausgezeichnet wurde, Hollywoods Stummfilmzeit wiederauferstehen zu lassen und mit interessanten Detailkenntnissen zu glänzen.

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