Eine gute Schule

  • DVA
  • Erschienen: Januar 2012
  • 0
  • : DVA, 2012, Titel: 'Eine gute Schule', Seiten: 240, Übersetzt: Eike Schönfeld
Eine gute Schule
Eine gute Schule
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Wolfgang Franßen
791001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Auf Kurs gebracht

Wenn ein Schriftsteller ein gutes Buch geschrieben hat, bedeutet das nicht unweigerlich, dass er für alle Zeiten in den Regalen der Buchhandlungen stehen bleibt. Es gibt nicht wenige, die behaupten, der Wert eines Schriftstellers beweise sich erst nach dessen Tod. Was natürlich völliger Quatsch ist. Literatur unterliegt Moden, die Bücher wie Autoren, Geschichten werden weg- und wieder ans literarische Land gespült. Manchmal tauchen Romane auch im Sog anderer Romane wieder auf. Als der Hype um Jonathan Franzen, Stewart O’Nan und Jeffries Eugenides begann, war er es kein Wunder, dass man sich auch wieder an Richard Yates und dessen meisterhaften "Zeiten des Aufruhrs" erinnerte. Der Geschichte einer Ehe. Jener von Frank und April Wheeler, die später dann auch mit DiCaprio und Kate Winslet verfilmt wurde. Wer dieses Buch kennt, weiß sogleich, warum Yates in einem Atemzug mit Cheever und Updike genannt wird. Es sind die fünfziger, die frühen sechziger Jahre, die diesen Schriftsteller geprägt haben. Es ist die Literatur eines Ausbruchsversuchs und der genauen Beschreibung von allem, was die Flucht in die Freiheit so schwierig macht.

Nachdem sein deutscher Verlag eine Reihe Romane und einen Band Short Stories veröffentlicht hat, nun also "Eine gute Schule", in der William Grove Anfang der 40er an die Dorset Academy in ein Internat kommt. Eine Schule, die er sich ohne Stipendium nicht leisten könnte, die zu besuchen, für ihn eigentlich das größte Glück bedeuten müsste. Wenigstens aus Sicht der Erwachsenen. Wer jedoch jemals ein Internat besucht hat, weiß, dass das Leben sich vollkommen ändert, sobald sich die Pforten hinter einem schließen. Wovon in der deutschen Literatur zuletzt Christoph Peters in "Wir in Kahlenbeck" zu erzählen wusste. Nicht selten versteckt sich dahinter so etwas Krudes wie Charakterbildung, die Eltern ihren Kindern so gerne mit auf den Weg geben wollen. Oder wie bei Robert Musil in "Die Verwirrungen des Zöglings Törless" die Erziehung zu weit Höherem. 

Hinter Yates Geschichte steckt der amerikanische Traum. Besuch die richtigen Schulen, verschaff dir die richtigen Freunde, mach einen guten Abschluss und du bringst es auf der gesellschaftlichen Leiter ein gutes Stück nach oben. Die Mutter ist Künstlerin, hat den letzten Schritt zur Berühmtheit aber nicht geschafft. Kein Wunder, dass sie sich von ihrem Sohn etwas verspricht, was sie selber nie hat leisten können. Nur dass Williams proletarischer Stallgeruch mit seinem fettigen Haar, seinem Hemd gleich beim Eintritt in Dorset dazu führt, dass er in mitten pubertierender Jugendlicher dem Spott ausgesetzt ist. Und natürlich stimmt auch im Kollegium nicht alles, pflegt Jack Draper den Seitensprung und hält die Fassade aufrecht.

Es ist Yates schriftstellerischem Können zu verdanken, dass es auch in diesem Roman eindringliche Szenen wie jene gibt, wenn Groove von vier, fünf Jungen abends von den Füßen geholt wird, er sich verzweifelt wehrt, aber machtlos ist, während sie ihm die Hosen herunterziehen, ihn rasieren und masturbieren. So dass als Rettung seiner menschlichen Würde dem Jungen nur eines bleibt, sich dem Orgasmus zu verweigern, indem er um Beherrschung ringt. Es sind die Terry Flynns dieser Welt, die einem das Leben schwer machen, denen wir auf Klassentreffen begegnen und froh sind, dass die Zeit sie zerfressen haben.

Yates Helden werden den Mittelstand nie entfliehen können. Aus ihnen werden keine gescheiterten Größen, die für ein ganzes Jahrzehnt wie "Jay Gatsby" stehen. Sie verschwinden in den Büros, in den Siedlungen, sie ziehen die Kinder auf, werden zu Anzugsträgern und backen Kuchen für die Nachbarschaft. Was sie prägt, davon erzählt "Eine gute Schule". Und wenn Pearl Harbour über das beschauliche Leben wie ein Tornado hereinbricht, sie verstört, spürt Richard Yates der Naivität nach, mit der wir allzu gerne bereit sind, die herausragenden Ereignisse in unserem Leben zu verklären, obwohl wir längst gescheitert sind.

So wie der Schriftsteller Yates. Zweimal geschieden, als Kind von einem Ort zum andern gezogen, Journalist und Ghost Writer, einer der profiliertesten Schriftsteller seiner Generation, war er doch Mitte der 70er von seinem Publikum völlig vergessen. Er nahm sich gleichsam selbst von der literarischen Bühne, litt unter Schreibblockaden, verfiel Alkoholexzessen. Als er wieder veröffentlichte, schienen seine Geschichten veraltet zu sein, hatten die Zeiten sich geändert. Es bedurfte Stewart O’Nans in der Boston Review veröffentlichten Essay "How the great writer of the Age of Anxiety disappeared from print.", um Richard Yates wieder zu entdecken.

Gemessen an "Eastern Parade" oder "Zeiten des Aufruhrs" entfaltet "Eine gute Schule" sicher nicht jene alltägliche Kraft des Abseits, die diesen Schriftsteller auszeichnen. Aber auch dieser Roman unterstreicht, warum Richard Ford

ihn verehrt. Es gab nur einen zweiten Autor seiner Generation, den das Unausgesprochene gleichsam anzog: James Salter. Auch er ist für kurze Zeit wiederentdeckt und bereits wieder vergessen worden. Yates wird dieses Schicksal hoffentlich erspart bleiben. Sein "Zeiten des Aufruhrs" ist verfilmt worden. Und Filme haften oft länger in der Erinnerung als Romane.

Eine gute Schule

Richard Yates, DVA

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