Auf Amerika

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • München: Hanser, 2012, Titel: 'Auf Amerika', Seiten: 176, Originalsprache
Auf Amerika
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Wolfgang Franßen
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Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Auf Amerika, nicht nach Amerika!

Wie unterschiedlich Autoren womöglich das Leben um sie herum aufnehmen, es in Literatur verwandeln, ihre Menschen sprechen, lieben, sich erschrecken lassen, kann man nicht nur in der August-Ausgabe der Belletristik-Couch sehen, wenn wir William Faulkner mit Bernd Schroeder vergleichen. Bei Faulkner das archaische Drama in "Als ich im Sterben lag", bei Schroeder eher der verschmitzte Blick. Das Leben auf dem Land hat auch Josef Bierbichler in seinem im Herbst letzten Jahres erschienenen Roman "Mittelreich" beschrieben. Bei ihm in barocker, theatraler Sprache eingefasst, bei Schroeder notizenhaft in klaren Sätzen, in verspielten Auslassungen.

Die Leute sagen halt bei ihm "Auf Amerika". Selbst wenn es sie nie da dahin zieht. Genauso gut gehen sie von Hausen aus auf Oberhausen hinauf und wenn sie nach Niederhausen gehen, sagen sie halt auch auf Niederhausen. Der Junge, der in diesem Umfeld aufwächst, wurde in einem Flüchtlingslager geboren. Nicht gerade die beste Voraussetzung, um sich zu verwurzeln. Zwar lässt sich das in jungen Jahren leichter bewältigen, doch in einer Familie, in der sich die Mutter erst noch mit dem Landleben anfreunden muss, der Vater als Aufschneider nicht bei allen gern gesehen ist, sie einen Scherz auf seine Kosten machen, ihm ein Kopfschütteln hinterher schicken, sucht man sich seine Familie irgendwo anders. Bei jemandem wie dem Veit, von dem es kein Foto gibt. Der als Name zurück bleibt.

Wie all jene Namen, die dem Roman als Gedenktafel für die Gefallenen vorangestellt sind.  Geburtsdatum, Todestag. Das ist, was bleibt. Und wenn der Junge eines Tages gestorben ist, kennt auch niemand mehr den Veit. Wie den Vater, wie die Mutter, wie den Jungen selbst. Doch es gibt da Bernd Schroeder, der sie alle aus der Versenkung holt. Der sich als Chronist versteht. Der an die Kramerin erinnert, die ein Bankert war. Von den Frauen erzählt, die während des Krieges regelmäßig ins Wirtshaus gingen, um ihre Männer zu ersetzen, damit der Wirt nicht pleiteging. Von den 365 Einwohnern, von denen jeder an einem anderen Tag geboren ist, so dass sie das ganze Jahr umfassen. In diesen wunderbar schwebenden Einsprengseln erinnert Schroeder manchmal an Janoschs augenzwinkernde Weisheit, in der die Bitterkeit hinter einem Schmunzeln verschwindet.

In aller Ernsthaftigkeit ist das Leben doch ein Witz. Wenn der Vater die Toten stehend beerdigen lassen will, um jenen Platz zu sparen, den sie im Liegen für sich beanspruchen, führt das gleich im Wirtshaus zu einer heftigen Diskussion darüber, dass niemand außer dem Seiler vielleicht für den Rest der Ewigkeit aufrecht in der Erde stehen will. Was ja auch Probleme mit dem Grundwasser gibt.

Was soll man sich aufregen. Der Vater schmiedet halt gerne Pläne, kündigt sie groß an und setzt sie nie in die Tat um. Zumindest bleibt er auf halbem Wege stecken. Er ist halsstarrig. Vor allem, wenn es um die Herkunft seines Familiennamens geht. Der Holzer ist der, der in Holz gemacht hat. Aber der Seiler, muss er dem Sohn und der Mutter klarmachen, dass er nicht der Mann, der die Seile geflochten hat, sondern der Henker war. Schließlich kennt der Vater sich ja aus mit Familiennamen, da lässt er sich nicht dreinreden. Auch nicht in seine Meinung über Hitler, der ja in vielen Dingen recht gehabt hat. Nur das mit den Juden, das hätte er wirklich nicht tun soll. Ein Schmalspurnazi. Einer, der am Stammtisch das Wort ergreift.

Mit dem Bruder spricht er schon lange nicht mehr. Der Bruder knipst von den Streichhölzern die Köpfe ab und baut Schiffe nach. Für die Hindenburg braucht er fünfundachtzigtausend Hölzer, für die Bismarck sechzigtausend und er trifft sich auch im Wirtshaus in der Kreisstadt mit Gleichgesinnten, um sich gegenseitig ihre Modelle zu zeigen. Als der Vater es dann wagt, dem Walter alle übers Jahr gesammelten abgebrannten Hölzer als Geschenk zu überreichen, kommt es zum Eklat. Die Brüder sprechen bis zum Tod von Onkel Walter nicht mehr miteinander. Der Vater wird dem Bruder eine Schachtel Streichhölzer ins Grab nachwerfen. Die Witwe sich mit einem Streichholz-Vereinskameraden trösten.

Sollen wir da dem Leben zürnen? Es verachten? Es als Hölle ansehen? Wenn Waisenkinder im Internat als Bettnässer gezüchtigt werden und vor der Frühmesse mit vor die Brust gehaltenem verschmutztem Betttuch Spalier stehen müssen, weil es dem Herrgott nicht zuzumuten ist, dass die Befleckten zum Beten niederknien? Sollen wir da am Leben verzweifeln?

"Meine Sprache ist keine Seilervatersprache und keine Seilermuttersprache, sondern eine Lammermuttersprache."

So knapp kann eine Poetologie des Lebens lauten. Bernd Schroeder sollten wir uns anvertrauen. Er vermag zu erzählen.

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