Export A

  • Berlin: Verbrecher, 2012, Titel: 'Export A', Seiten: 265, Originalsprache
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Kathrin Plett
751001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

In Übersee

Der Traum vieler Jugendlicher: Als Austauschschüler die Möglichkeit bekommen, ein fernes Land hautnah zu erkunden, eigene Erfahrungen zu machen, ohne der elterlichen Kontrolle zu unterliegen. Für Elisabeth Kerz, genannt Lisa, wird dieser Traum wahr: Die Sechzehnjährige darf ein Jahr in Kanada verbringen, in der Nähe ihrer dort lebenden Schwester, dennoch weit genug entfernt von der elterlichen Fürsorge.

Rein objektiv könnte man als Leser nun einen heiteren Jugendroman erwarten, der von neuen Erfahrungen, kulturellen Unterschieden und sprachlichen Schwierigkeiten berichtet, doch weit gefehlt.

Lisa Kränzlers Roman beschreibt schonungslos und offen, wie sich ein Schüleraustausch zur Katastrophe entwickeln kann.

Die 16-jahrige, aus gutem und wohlhabendem Haus stammende Lisa Kerz verlässt Deutschland, um in Kanada als Austauschschülerin für ein Jahr zur Schule zu gehen. Doch die Weiten Kanadas, der einsame Winter und die Indoktrination der Kirche, die sie an den Rand religiösen Fanatismus treibt, drohen sie immer mehr zu erdrücken. Einen Ausgleich findet sie im Partyleben der einheimischen Jugendlichen, wo sie zwischen Drogen, Affären, Liebe, Hass und Kriminalität versucht, einen eigenen Weg zu finden.

Vor allem ihr Einzug in eine WG, die diese Lebensart völlig verinnerlicht hat, zieht sie in den Rausch der scheinbaren Freiheit, aus dem es kaum noch einen Ausweg zu geben scheint. Als Elisabeth eines Nachts Opfer einer Vergewaltigung wird und auch noch ein Mord folgt, spitzt sich die Situation immer weiter zu.

Lisa Kränzler erzählt die Geschichte der Elisabeth Kerz. Allein schon die Ähnlichkeit der Namen deutet daraufhin, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Roman handelt, sondern eigene Erfahrungen verarbeitet werden, die Lisa in Kanada widerfahren sind. Bruchstückhaft und sprunghaft beschreibt sie ihre Gedanken, Gefühle, Hoffnungen und Ängste jener Zeit, in einem Wechselspiel aus Deutsch und Englisch, in Rückblicken und Vorgriffen, dem damaligen "Hier und Jetzt". Zeitliche Distanz zum Geschehen wird vermischt mit fortwährenden Gedanken, die sich nicht ablegen lassen wollen. Ähnlich wie die kirchliche Indoktrination haben sie sich ins Hirn gebrannt, bedrohlich wie die Sätze der Messe, die Lisa auch nach dem Gottesdienst verfolgen und sie an ihre Grenzen bringen, wenn sie sie in scheinbarer Endlosschleife erdrücken:

"When Jesus says, come out and be seperate, you'd better go!" "Now you're under control, now you're under control, now you're under control..."

Sex und Jungs füllen den Tag, in ihrem Kopf schwirrt es unaufhörlich:

"You're so sexy..." 

Immer wieder dasselbe Mantra.

"You're so sexy-You're so sexy-You're so sexy"

 und lässt sie nicht mehr in Ruhe. Deals und Trips. Elisabeth scheint nicht zu bemerken, dass der Spaß, den sie anfangs empfindet, immer mehr auf ihre Kosten geht. Sie will dazugehören, und fügt sich, passt sich an und macht, was die anderen von ihr erwarten, noch leise das Gewissen der Kirche im Ohr

"Das gefürchtete Monatsende dicht vor Augen, verzichte ich auf weitere Kirchgänge, kümmere mich um nichts mehr außer um meine Jungs".

Das Monatsende steht dabei für die Angst vor der Wohnungskündigung und dem drohenden Ende der für sie so bedeutsamen Gruppe.

Elisabeth versinkt mehr und mehr in der dunklen Szene, auf der Suche nach der eigenen Identität, die sie zu Hause in Deutschland gut umsorgt nicht finden konnte, rebelliert sie und verliert sich, kommt vom Weg ab und merkt nicht, dass sie die Kontrolle über ihr Leben längst nicht mehr hat und Hilfe braucht. Als ihre Schwester reagiert, ist die Situation längst eskaliert, Elisabeth wurde Opfer und schließlich Täter. Die Unschuld ihres Lebens längst verloren trägt sie nun eine weitere Last, die sie endgültig aus der Bahn wirft.

Der Leser wird während des Lesens immer tiefer in den Bann des Buches gesogen. Die Ungewissheit, inwieweit die Story der Realität entspricht und das Gefühl, dass der Roman nur in einer totalen Katastrophe enden kann, geben der Handlung etwas Unheimliches, Beklemmendes, was sich nur dadurch etwas abmildert, weil man als Leser weiß, dass die Autorin den Roman rückblickend aus der Distanz von zehn Jahren schreibt und somit einen Weg gefunden haben muss, mit den Ereignissen zurechtzukommen.

Die Handlung wühlt auf und macht nachdenklich. Auch Sprache und Wortwahl stehen dem Inhalt in nichts hinterher und sind stilistisch ähnlich ungewöhnlich und auf den ersten Blick befremdend. Kränzer beschreibt in einer Mischung aus Englisch und Deutsch das Geschehen, nimmt kein Blatt vor den Mund und scheut auch vor vulgären Ausdrücken nicht zurück, was dem ganzen Roman nur noch mehr Authentizität verleiht. Es ist die Sprache der sechzehnjährigen Elisabeth, die Sprache der Protagonistin, die ihre eigenen Gedanken und Gefühle auch mit ihrer Sprache wiedergibt. Man sollte schon einen gewissen Grad an Englischkenntnissen haben, um den Roman zu verstehen und die Bedrohung zu fühlen, die insbesondere zu Beginn durch die Kirche auf Elisabeth einwirkt.

Der Debütroman der 1983 in Regensburg geborenen Autorin lässt sich nur schwerlich mit anderen Romanen vergleichen. Eindrucksvoll und sprachlich gekonnt, ein empfehlenswertes und mutiges Erstlingswerk, das so völlig anders verläuft, als man es von einem Adoleszenzroman erwartet!

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