Dunkles Herz

  • Frankfurt: S. Fischer, 2012, Titel: 'Dunkles Herz', Seiten: 320, Übersetzt: Barbara Christ
Dunkles Herz
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Lutz Vogelsang
751001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Rührend nicht rührselig

"Das ist euer schottisches Wasser. Hat noch keiner armen Seele gut getan". In seinem Debütroman "Dunkles Herz", lässt Andrew O´Hagan kaum ein gutes Haar an seiner schottischen Heimat. In düsteren Tönen zeichnet er die Geschichte von vier Generationen einer Familie, denen ihre Vergangenheit unerbittlich im Nacken sitzt. Sei es das karge Land, das kaum etwas hergibt, zerplatzte Visionen oder Alkoholabhängigkeit: Die Vorfahren des Ich-Erzählers James Bawn hatten und haben mehr als nur ein Quäntchen Unglück zu stemmen.

Inseln des Glücks

James kehrt als kleiner Junge in die schottische Heimat seiner Vorfahren zurück. Sein Vater hatte vergeblich sein Glück in England versucht und versinkt nun in Alkohol, Gewalt und Selbstmitleid. Der Begriff "schwere Kindheit" wäre wohl schon euphemistisch für das Los des Jungen, der von seinem Vater regelmäßig als "englischer Bastard" beschimpft wird. In Ermangelung einer intakten Familie sucht er Trost und Geborgenheit in der Natur und in seinen Büchern. Einige wohlmeinende Personen, allen voran sein Großvater Hugh, ein ehemaliger Pionier des sozialen Wohnungsbaus in Schottland, werden für ihn zu Inseln des Glücks in ansonsten rauer See.

Knapp zwanzig Jahre später – James lebt mittlerweile in Liverpool – liegt dieser Großvater im Sterben. James sieht sich genötigt, sich nach Jahren des selbstgewählten Exils seiner Vergangenheit zu stellen. Sein Großvater vegetiert im 12. Stock einer der Mietskasernen vor sich hin, die er früher selbst geplant hat. Was in den 70ern noch als innovatives Wohnkonzept bezeichnet wurde, gilt jetzt als Schandfleck und rottet stumm vor sich hin. Dementsprechend verdrossen und frustriert ist der alte Bawn, der überhaupt nichts mehr mit seinem liebenswerten früheren Selbst gemein zu haben scheint...

Persönlich und bedrückend

Man kann nur vermuten, wie viel eigene Vergangenheit der Autor zwischen den Zeilen verarbeitet hat. O´Hagan ist in Schottlands "heimlicher Hauptstadt" Glasgow geboren und ist – ebenso wie sein Protagonist – in der Küstenregion südwestlich davon aufgewachsen. Wie James Bawn ist er katholischer Abstammung und lebt mittlerweile in England. Besonders die Szenen, in denen der Autor die ständigen Konfrontationen zwischen James und seinem aggressiven Vater schildert, wirken derart persönlich, eindringlich und bedrückend, dass der Verdacht naheliegt, O´Hagan hätte genau diese Situationen selbst erlebt.

Der Autor schreibt mit genau der schlichten, aber kraftvollen Poesie, die man mit der Landschaft seiner schottischen Heimat assoziieren würde. "Dunkles Herz" ist durch und durch rührend ohne rührselig zu sein. Allein den Figuren mangelt es an Komplexität. Vier Generationen wollen in etwas mehr als 300 Seiten zum Leben erweckt werden – das ist auch für O´Hagan nicht zu stemmen, obwohl es ihm blendend gelingt, mit wenigen Worten viel zu transportieren. Ähnlich verhält es sich mit einigen Themen, die für das Verständnis der Figuren durchaus wichtig sind: Die Desillusion der schottischen Linke oder der schwelende Konflikt mit England, mag für den britischen Leser nicht weiter erwähnenswert sein,  für den unbedarften Leser schon. Grundlegendes Verständnis für die jüngere schottische Geschichte erleichtert in jedem Fall den Zugang zur Geschichte und ihrer Charaktere.

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