Beckenbauer taucht nicht auf

  • Erschienen: Januar 2000
  • 1
Beckenbauer taucht nicht auf
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Andreas Kurth
701001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Der Fußballgott aus Giesing

Anatol Hinueber ist relativ neu in der bayrischen Landeshauptstadt München. Und er kommt nicht gerade aus einem Nachbarland, sondern von einem Planeten in einer fernen Galaxie. Ein Mensch ist er schon gar nicht, aber er kann die Form des menschlichen Körpers relativ problemlos und täuschend echt annehmen. Von seinem Heimatplaneten Koho hat er einen ganz konkreten Auftrag mitbekommen. Er soll hochwertige DNA finden, um daraus perfekte Wesen klonen zu können, die dann exportiert werden sollen. Anatol richtet sich erst einmal ein, und beginnt Informationen über seine Umgebung und vor allem über die menschliche Lebensweise zu sammeln.

Allerdings stellt sich der Außerirdische bei seinen geheimen Recherchen zuweilen ziemlich dümmlich an. Die Bewegungsformen auf der Erde erlernt er erst nach und nach, dann läuft er viel zu schnell durch die Stadt und fällt auf. Das Aneignen von Wissen erfolgt durch Kopieren – was wiederum den Menschen auffällt, weil Anatol so rapide Wissen kopieren kann. Immerhin gelingt es ihm durchaus geschickt, Rezepte des offenbar renommierten Kochs Eckart Witzigmann nachzukochen, damit erkämpft er sich das Vertrauen eines jungen Fußballers und dessen Mutter.

Im Gegenzug träumt Hinueber nachts vom blauen Licht seiner fernen Heimatgalaxie. Dann wiederum beobachtet er seine Nachbarin ausgiebig durch das Küchenfenster. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, lässt er sich auf den Austauscht von Körperflüssigkeiten ein -  Anatol hält das für ein notwendiges menschliches Ritual. Doch dann entwickelt der Alien völlig unerwartet Gefühle, ein auf seinem eigenen Planeten unübliches Verhalten. Schließlich besinnt er sich auf seinen Auftrag und sucht nach der perfekten DNA – die er in einem "Fußballgott von Giesing" genannten Menschen zu finden glaubt. Es dauert lange und erfordert einige Umwege, bis er den Fußballer Franz Beckenbauer endlich aufgespürt hat. Doch dann kommt es zu einem überraschenden Finale.

Armin Kratzert wirft in seinem kurzweiligen Roman einige interessante Fragen auf – die er zum Teil auch humorvoll beantwortet. Wie würde ein Alien diese Welt wahrnehmen und beurteilen? Speziell München und seine ganz normalen Bewohner? Hinter dem scheinbaren Blickwinkel eines Außerirdischen verbirgt der Autor seine höchst ironische Soziographie der bajuwarischen Metropole. Mit viel Wortwitz und unterhaltsamen Dialogen sorgt Kratzert für einen ganz anderen Blickwinkel auf diese spezielle Landsmannschaft und ihre Eigenarten. Als Beispiel sei hier nur die Beschreibung einer Berufsgruppe zitiert: "Hausmeister, habe ich gelernt, das sind im allgemeinen diese übellaunigen, vierschrötigen Gesellen in schmutziggrauen Arbeitskitteln, die immer irgendwelche Gegenstände über den Hof schleppen und einen Grund suchen, Kinder, Nachbarn oder Besucher zu beschimpfen."

Und der Fußball mit seinen zusätzlichen Schrullen bekommt dabei auch reichlich "Fett" ab. Denn wo auch immer der so genannte "Fußballgott aus Giesing" unter den Normal-Sterblichen wandelt, wird er glorifiziert – der Heiligenschein müsste selbst auf dem fernen Planeten Koho zu sehen sein. Ob es möglich wäre, mit der DNA von Beckenbauer ein nahezu perfektes Wesen zu bauen – diese Frage bleibt dann aber doch ohne Antwort. Aber immerhin lernt  Anatol Hinueber viele interessante Fakten. Der schöne  blaue Himmel über München erinnert den Alien zudem an seinen Heimatplaneten – so dass er schließlich auf der Erde bleiben will. Der Autor lässt zuweilen spüren, dass er die Stadt München und ihre Menschen im Grunde seines Herzens bewundert – und das überträgt Kratzert auf seinen Protagonisten. 

Höchst bemerkenswert sind die Erkenntnisse über den Fußball, die der Autor dem Außerirdischen in den Mund legt: "Das atemlose Gerenne auf dem Platz, das Pfeifen des Schiedsrichters, die Stürze, das Gestikulieren des Trainers dienen allenfalls der Verschleierung. Denn wie gespielt wird, wer ein Tor schießt, wer gewinnt, das wird vorher genau ausgemacht, und zwar an der Säbener Straße, dem Mittelpunkt der Welt", glaubt Hinueber zu wissen. Ob Kratzert das auch noch nach der Niederlage der Bayern gegen Chelsea so geschrieben hätte, kann gerne in Zweifel gestellt werden. Der Unterhaltungswert dieses netten Romans wird jedoch durch das profane Resultat eines Fußballspiels kaum geschmälert. Ein Ärgernis ist allenfalls der Preis, der für 169 Seiten voller Unsinn auf hohem Niveau ziemlich happig ist.

Beckenbauer taucht nicht auf

Armin Kratzert,

Beckenbauer taucht nicht auf

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