Blond

  • Ecco
  • Erschienen: März 2021
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- Erstveröffentlichung: 1999

- OT: Blonde

- aus dem Englischen von Sabine Hedinger, Karen Lauer & Uta Strätling

- HC, 1.024 Seiten

Blond
Blond
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Yannic Niehr
991001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2021

Es war einmal eine Goldene Prinzessin, die wartete auf den Dunklen Prinzen …

Ikone, Sexsymbol, Leinwandgöttin – Wer kennt sie nicht: Superstar Marilyn Monroe?

Aber wer kennt Norma Jeane, die Frau hinter der Fassade? Weiß von der psychisch kranken Mutter, der Tortur einer Kindheit, der schweren Zeit im Heim, den Pflegefamilien, den Männergeschichten und zum Scheitern verurteilten Ehen, der Sinnsuche hinter Karrieremeilensteinen wie Niagara, Blondinen bevorzugt oder Das verflixte 7. Jahr, den Abtreibungen, den Medikamenten und Barbituraten?

Joyce Carol Oates nimmt sich der wasserstoffblonden Kunstfigur in genüsslicher, messerscharfer Prosa an und schafft eine faszinierende literarische Collage.

„I couldn’t aspire to anything higher …”

Blond ist die Erzählung einer Frau, der von Anfang an keine Chance gegeben war, sie selbst zu werden. Die Mutter, die das kleine Mädchen mehr als einmal in kochend heißem Wasser badet, landet in der Psychiatrie, den Vater lernt sie für lange Zeit gar nicht kennen, und in ihrer späteren Briefkorrespondenz zeigt er sich von ihrem Schaffen nicht begeistert. Schon früh sucht sie ihr Glück und ihre Bestätigung im Außen, nennt ihre Ehemänner „Daddy“, will um jeden Preis geliebt werden – doch diese Sucht nach Liebe geht einher mit der Angst, ein Nichts zu sein, mit einer Leere, einem Abgrund im Inneren. Die Liebe, die ihr tatsächlich entgegengebracht wird, gilt immer nur „Marilyn Monroe“ (und nicht einmal diese Schöpfung wird ihr gänzlich zugestanden). Von den Menschen in ihrem Umfeld wird sie fast ausnahmslos missbraucht oder ausgebeutet: als Projektionsfläche, als Muse, als Motor für feuchte Träume. Ein Leben lang ist sie dem männlichen Blick gnadenlos unterworfen, ohne je wirklich gesehen zu werden – bis sie nur noch ein Negativ ihrer selbst ist. Viele der Männer in ihrem Leben (unter denen neben weiteren Berühmtheiten ein Präsident der Vereinigten Staaten gewesen sein soll, wie man munkelt) kommen auf diesen Seiten zu Wort und fügen ihren Teil des Mosaiks hinzu – doch die echte Frau im Zentrum des Narrativs verschwindet dahinter. Selbst für die, die es gut mit ihr meinen, die glauben, sie wirklich zu lieben, ist es nicht möglich, eine gesunde Beziehung zu ihr aufzubauen – was trotz (oder gerade wegen) ihrer leidenschaftlichen Sehnsucht zumeist auf Gegenseitigkeit beruht. Dabei hätte dieses verletzliche und doch endlos starke Wesen alles sein können: nicht bloß Ehefrau oder liebende Mutter, sondern gar Philosophin, politische Aktivistin, eine eigenständige Person mit einem eigenen Leben, hätte sie nur ihre Stimme gefunden (die einem daher auch eher sporadisch aus den Seiten entgegentönt – dann allerdings laut und deutlich). Skizziert wird hier ein schemenhaftes Psychogramm, das sich immer wieder in nostalgischen Erinnerungsfetzen oder Andeutungen des Möglichen ergeht; ein Leben im Konjunktiv. Doch ausgerechnet ihre geniale Begabung, ihr Naturtalent für die Schauspielkunst, soll ihr letztendlich, nachdem das Pin-Up-Girl von Hollywood entdeckt und „gemacht“ worden ist, zum Verhängnis werden: „Marylin“ ist weniger ein Triumph als ein gefährliches Geschwür, ein Parasit, an den sie eine leidenschaftlich brennende Hassliebe untrennbar bindet. Und irgendwann schließt Oates den Kreis: Trotz seiner scheinbaren Unausweichlichkeit kommt das frühe Ende schnell und auf unverhoffte Art und Weise. Für die Welt erschöpft sich diese tragische Existenz schlussendlich leider im schönen Schein des Phantasmas „Marylin“.

„Denn außerhalb der Film-Story gibt es keinen Sinn im Leben. Und außerhalb des dunklen Kinosaals gibt es keine Film-Story“

Obwohl spürbar ausgiebige Recherche in dieses Werk geflossen ist, darf man Blond keinesfalls als Tatsachenroman missverstehen (worauf die Autorin in ihrer Vorbemerkung auch explizit hinweist). Das Privileg der Schriftstellerin, welches der Biografin abgeht, ist die dichterische Freiheit – und diese nutzt Oates geradezu virtuos: Sie fasst Ereignisse zusammen, lässt welche weg, erfindet neue hinzu, reichert ein Skelett wahrer Begebenheiten an mit Fantasien, erkundet mit lyrischer Treffsicherheit jedes noch so dramatische „Was wäre, wenn …?“ – doch nie fühlt man sich von ihr um „die Wahrheit“ betrogen. Sie ändert Namen (Norma Jeane Mortensens erster Ehemann James Dougherty wird zu Bucky Glazer) oder versteckt die tatsächlichen hinter märchenhaften Pseudonymen (Jo DiMaggio ist „Der Ex-Sportler“, Arthur Miller ist „Der Bühnenautor“, und selbst Norma Jeane ist häufig nur „Marylin“ oder „Die Blonde Darstellerin“ – oder welche Rolle sie zum gegebenen Zeitpunkt auch immer gerade spielen möchte/soll/muss). So sind die Charaktere und Geschehnisse des Romans assoziativ mit der historischen Wirklichkeit verknüpft, ohne den Anspruch zu erheben, sie abbilden zu wollen – sie sind wortwörtlich der Stoff, aus dem Legenden sind. Auf diese Weise zeigt Joyce Carol Oates auf, wie schwierig eine solche Annäherung an eine berühmte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens sich überhaupt gestaltet, und dass sie grundsätzlich immer nur Fiktion sein kann. Dank ihrer meisterhaften stilistischen Gratwanderung fühlt man sich Norma Jeane bei der Lektüre sehr nahegekommen, und gleichzeitig doch weiter von ihr entfernt als je zuvor.

„Aber ich werde euch zwingen, mich zu lieben, und werde mich eurer Liebe zum Hohn selbst strafen“

Politische und gesellschaftliche Umwälzungen (die Große Depression, der II. Weltkrieg, Hiroshima, der Holocaust, die Kommunistenhatz) bilden den unheilvollen Subtext zu Norma Jeanes Leben und den Nährboden für ihre so schillernde, strahlende, leichtlebige Filmpräsenz. Während es die Menschen nach einem Geschöpf wie „Marylin“ dürstet, sind die ihren Wünschen unterschwellig zugrundeliegenden Ängste auch ein (Zerr-)Spiegel derer in Norma Jeanes Seele. Sprachlich zieht die Autorin alle Register und beschreibt Norma Jeanes Verhältnis zum Publikum, zu den Männern, zu Amerika, zu sich selbst mal herzzerreißend-schmerzhaft, mal knallhart-derb, mal durchtränkt von bitterem Humor, und entfesselt so einen Sog, der nicht loslässt – selbst dann nicht, wenn Norma Jeanes Psyche (und, als Analogie dazu, die formale Struktur des Textes) immer wieder entgleist. Nicht zuletzt aber ist Blond auch eine Abhandlung über das untergehende Studiosystem und die toxische Unterhaltungsmaschinerie. Oates‘ Schilderung des Los Angeles, das ihre Figuren bewohnen, changiert zwischen einer verklärten Traumfabrik, einer realistisch-direkten Dekonstruktion von Dekadenz und Glamour und einem Niemandsland düsterer Verheißungen, durchweht vom Hauch des Todes. Ein Mensch wie Norma Jeane kann hier unmöglich gedeihen.

Fazit

Mit der geballten Wucht poetischer Ausdruckskrafthat Joyce Carol Oates einen facettenreichen Roman über eine ebenso facettenreiche Persönlichkeit komponiert, der einen auf intellektueller wie emotionaler Ebene abholt und ganz nebenbei noch den Mythos der Goldenen Ära Hollywoods entzaubert. Blond ist ein moderner Klassiker!

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