Big Sue

  • Mare
  • Erschienen: Januar 2010
  • 1
  • Hamburg: Mare, 2010, Seiten: 191, Originalsprache
Big Sue
Big Sue
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Wolfgang Franßen
811001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2012

Abseits des Egon Erwin Kisch-Preises

Eine echte Männerphantasie diese Big Sue. Vor öffentlichen Blicken in ihrem Zimmer geschützt, das sie nie verlässt, bringen die Männer ihr Essen, Trinken. Es geht gar das Gerücht um, dass sie sich mit Liebesdiensten dafür erkenntlich zeigt und ihre Wohltäter geradezu von sich abhängig macht. Die Frage ist nur, hockt da eine "Schwarze Witwe" in ihrem Nest und frisst die Seelen jener Männer, die sich ihrer Leibesfrucht bedienen. Sues fast schon mythische Gestalt, ist der Kern, um den sich Zora del Buonos zweiter Roman dreht und der wie ein Magnet alle Geschichten um sich bindet.

Wir befinden uns mitten in Tennesse Williams Süden, in dem die Gefühle überkochen, Gerüchte zu Legenden anwachsen, in dem politisches Unrecht über die Generationen verwächst. Zora del Buono schickt eine deutsche Journalistin in die verschlafene Kleinstadt Savannah. Eine Frau, die es leid ist "distanziert, emotionale Sätze zu schrauben", und nach einem "tränenreichen Artikel" über eine Selbstmörderin, dem deutschen Kulturbetrieb den Rücken kehrt. Sie findet sich in einem Ambiente wieder, dass wir aus vielen amerikanischen Romanen der 50er und 60er kennen. Familiäre Abgründe, überhitzte Leidenschaften und freigesetzter und fehlgeleiteter Hass. Das alles bei zu hoher Luftfeuchtigkeit.

Mit einem kräftigen Pinselstrich Südstaatenromantik wird gegen ein sattes Europa angegangen, das sich lieber den Geheimnissen der Finanzmärkte widmet. Fast hört man schon den Cajun aus den Sümpfen schallen, während sich die Ich-Erzählerin den Geheimnissen von Humphrey Island nähert. Auf der wiederum eine alte Villa steht, für die sich ein Schweizer Kunsthistoriker interessiert, über dessen egomanischen Schriftstellervater soeben ein Buch erschienen ist. Ein Sohn auf der Flucht vor seinem Vater. Eine Journalistin auf der Suche nach sich selbst. Eine Männerphantasie als Rache an begangenem Unrecht. Ihre Wege müssen sich unweigerlich kreuzen und eine Art Schicksalsgemeinschaft auf der Suche nach der Wahrheit, nach Erlösung bilden.

Die Autorin widmet sich einem dunklen Kapitel amerikanischer Geschichte. Was passierte eigentlich nach der Befreiung der Sklaven unter Abraham Lincoln? Der Namensgeber von Humphrey Island war ein Kriegsgewinner. Er ließ sich die Ländereien der flüchtigen Plantagenbesitzer überschreiben und versprach, das Land nach einer Wiederaufbauphase von einem Jahr den ehemaligen Leibeigenen zu überlassen. Allerdings verhökerte er lieber die Parzellen nach der gesetzten Frist zu einem weit höheren Preis, den sich nur die gutbetuchten Freunde und Bekannten aus dem Norden leisten konnten. Humphrey kam so zu einem immensen Vermögen und das Land blieb in weißem Besitz.

Del Buonos Journalistin ist fasziniert von einer Familiengeschichte, die schuldbelastet zum Extremen neigt. Von einem gierigen Vater, über einen noch radikaleren Sohn, bis hin zu einer sich verweigernden Tochter beschreibt sie den Rassismus des amerikanischen Südens bis zum Kampf um die Civil Rights von 1964. Was Fenner und die Journalistin aufsammeln, sind nur noch die Brosamen eines lang anhaltenden miteinander Ringens. 

Die Gewinner sehen wie innerlich zerrüttete Verlierer aus und die Verlierer bleiben Verlierer. Die Journalistin sieht sich in einem fremden Land seinen Auswüchsen gegenüber, die sie verstehen will.

Carl Fenners eigene Familiengeschichte, die auf wunderliche Weise mit Humphrey Island verstrickt ist, wirkt leicht konstruiert, legt jedoch als Bindeglied den Kern einer Verweigerung bloß. In Sues Überlassen des eigenen Körpers aus einem Schuldgefühl heraus, erinnert der Roman an J.M. Coetzee Schande.  Hier wie dort ist eine junge Generation nicht mehr bereit, sich weiter zu versündigen und begehrt auf. 

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