Die hellen Haufen

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
  • Berlin: Suhrkamp, 2011, Seiten: 96, Originalsprache
  • : Suhrkamp, 0
Die hellen Haufen
Die hellen Haufen
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Wolfgang Franßen
891001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2012

Die Macht soll gegeben werden dem gemeinen Volk.

Diese Erzählung fände sicher in Griechenland reißenden Absatz. Beschreibt sie doch den mutwilligen Umbau, die wirtschaftliche Übernahme angesichts eines Staatsbankrotts. Nach über zwanzig Jahren, nach dem "Plattmachen" der sozialistischen Wirklichkeit, findet sich die europäische Wirtschaft erneut in einem Kulturkampf. Allerdings nicht mehr politischer Natur, vielmehr kämpft man gegen die Mentalität der Südländer an.

Volker Brauns Die hellen Haufen erscheint da beinah wie ein Stück Geschichtsschreibung. Der deutsche Widerstand sammelt sich heutzutage nur noch hinter der Klimakatastrophe, vor dem Stuttgarter Bahnhof und nicht wie in Brauns "hellen Haufen", um Solidarität einzufordern und gegen die Umverteilung aufzubegehren. Mittels verlogener Heilsversprechen, mittels Absprachen hinter verschlossenen Türen, durch Repression und zurechtgebogenen Fakten, wurde der Osten am Ende gleichgeschaltet.

So wie Brauns Helden mag sich mancher Grieche fühlen, wenn er gegen sein eigenes Parlament stürmt und die Politiker verteufelt. So verschaukelt, um die eigenen Errungenschaften gebracht, heißt es heutzutage nicht mehr die wirtschaftliche Philosophie des Westens hat gesiegt, sondern der Euro muss gerettet werden. Volker Braun gelingt es in seiner Erzählung, die Nahtstellen offenzulegen. Er berichtet von einem Aufstand, der so nie stattgefunden hat, weil die Lähmung wegen der Heilserwartung der DM große Teile der ostdeutschen Industrie für die westdeutsche Übernahme öffnete. 

In Die hellen Haufen ist der herbei diskutierte Widerstand, der als Manifest in den 12 Mansfelder Artikeln verfasste Aufruhr ein urdeutscher Komödienstadl. Wenn auch mit bitterem Beigeschmack. Nicht umsonst lautet eine der Forderungen in Artikel 11.:

            "Es bleibt beim Du zwischen Belegschaft und Management."

Was nicht sein darf, wird per Mehrheitsbeschluss angeprangert. Seien die Verträge auch heimlich längst geschlossen, die Abwicklung in ersten Schritten eingeleitet, die Diktatur der Treuhand eingeführt: das deutsche Wesen bleibt ergeben. Auch wenn sich die Gemüter erhitzen. Zu lange hat man darauf gewartet, dass es wieder ein Deutschland gibt. Viel zu gerne schaut man über den Zaun. Und da sind die deutschen Frauen im Westen plötzlich hübscher als auf ostdeutscher Seite. Braun umschreibt dies treffend, nicht mit der Masse, die rebelliert, sondern mit einem Haufen, der sich rottet und doch nie zu einer gemeinsamen Sprache findet.

Eine politische Parabel des Nichtstattgefundenen. Da lässt Rita Süßmut die Freitreppe zum Reichstag räumen, da ist das Haupttor der Treuhand von Ketten verhängt, da sitzt die hilflose, aber beliebte Sozialministerin Regine Hildebrand auf dem Podium und weiß nicht, wohin mit sich. Ein Fanal muss her. Aber wie?

Indem Braun seine "Haufen" losschickt, erzählt er viel über die Wut, die sich in Ohnmacht austobt, die kein Ventil besitzt, die es zulässt, dass die Rente im Osten geringer ist, Lohnzuwächse bis heute in West und Ost geteilt werden. Er zeichnet ein Bild des Verlusts an Ideologie, des Unrechtsgefühls nach einer empfundenen Niederlage. Zu lange hatte man gehofft, die Errungenschaften des Westen sich einverleiben zu können. Solange man nicht zu den Hardinern gehörte, die den Sozialismus in seinem Lauf nicht aufhalten wollten. Plötzlich müssen sie miterleben, wie die Ambulatorien der Barmer Ersatzkasse weichen, Bibliotheken, wie Kinderkrippen ersatzlos gestrichen werden.

In die ostdeutschen Vorstände ziehen die Westdeutschen ein, gegen deren Mehrheit kaum etwas auszurichten ist. Sie schaffen sich wie "Kali und Salz" störende Konkurrenten vom Leib und graben das Salz lieber von ihrer als von ostdeutscher Seite an. 

Der Autor ist kein blinder Eiferer. Er weiß, der Mensch will dazu gehören. Löst sich die eine Gemeinschaft trotz allem Theaterdonner auf, wechselt er in Scharen zur Gegenseite. Braun ist der Chronist der Wende, in dem er die Fakten verlässt, "Orte falsch schreibt", "Personen aus Rüben schnitzt" und sich "die Handlung aus den Fingern saugt".

Selten ist eine Erfindung der Wahrheit so nahe gekommen. Es steht zu befürchten, dass die Griechen von sich behaupten werden, sie hätten sich mehr gewehrt.

Die hellen Haufen

Volker Braun, Suhrkamp

Die hellen Haufen

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