Die Aussenseiter

  • Aufbau
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Kingston, N.Y.: McPherson & Co., 2011, Titel: 'Lord of misrule', Seiten: 294, Originalsprache
  • Berlin: Aufbau, 2012, Seiten: 352, Übersetzt: Ingo Herzke
Die Aussenseiter
Die Aussenseiter
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Wolfgang Franßen
861001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2012

Ein Pferd weiß mehr, als ein Pferd wissen kann.

Sie heißen Buckle My Shoe, Medicine Ed, The Mahdi, Two-Tie, Jojo Wood, Kidstuff, Boll Weevil, Gifford Grizzly, Suitcase Smithers, Little Spinoza und Gus Zeno. Wer ist da Pferd, wer ist Pfleger, wer der Besitzer? Von Anfang an taucht Jaimy Gordon ihre Geschichte um ein Verkaufsrennen und vier Pferde, die besser sind, als sie aussehen, in Stallgeruch. In einer sprachlichen Dichte erzählt sie vom Pferdesport abseits der großen Derbys von Glücksrittern und Betrügern und einer Handvoll Menschen, die sich auf diesem Jahrmarkt bestens auskennen.

"Die nachtschlafende Rennbahn ist ein lebendiger, gespenstischer Ort... – eine kleine Welt, die am Zaun endet, die dunkelblaue, ruhelose Luft duftet nach Medikamenten, Einreibungen, Salben, Kieferharz -, überall klirren Ketten, knarren Wassereimer... kauen Pferde oder schnauben Staub aus..."

Es ist eine äußerst sinnliche Welt, die Gordon beschreibt. Es wird auf Pferde gesetzt, die einem nicht gehören, während man gerade den Gesetzen der Verkaufsrennen entsprechend sein eigenes verliert. Es wird seinem Riecher gefolgt, weil ein Pferd einem eine geheimnisvolle Botschaft sendet. Es wird das Glücksgeld angegriffen, von dessen gewinnträchtigem Einsatz man sich einen Trailer fürs Alter erhofft. Es werden Bandagen angelegt, Pulver gemischt, und jeder besitzt sein eigenes Rezept, ein Pferd wieder fit zu machen. Gordons Figuren wissen, dass sie von der Rennbahn nicht loskommen werden. Das hat weniger mit der kriminellen Rennbahnromantik eines Dick Francis zu tun, eher mit der wortgewaltigen Welt eines Cormac McCarthys, der seine Verlierer als die einzig Mutigen in dieser Welt zeichnet.

Obwohl es manchmal die volle Aufmerksamkeit erfordert, die vielen Stimmen zuzuordnen, unterhält Jaimy Gordon sicher auch jene Leser, die sich nicht unbedingt für Pferde und für das Glück auf deren Rücken interessieren. Es ist, als betrete man ein Casino in Las Vegas. Der Schein wird gewahrt, in dem es Regeln gibt. So bietet ein Besitzer sein Pferd sogleich zum Kauf an, wenn er es für ein 5000-Dollar-Verkaufsrennen meldet. Auf dem Weg soll den höher dotierten Gäulen der Zugriff auf das Preisgeld der Billigpferde vergrault werden. Jeder Besitzer darf ein Gebot auf ein gemeldetes Pferd abgeben, um es in seinen eigenen Stall zu führen, wenn er den Zuschlag erhält. Aber wie in Las Vegas ist es auch in "Die Außenseiter" so, dass es immer jemanden gibt, der sich für klüger als alle anderen hält und einen unschlagbaren Plan in der Satteltasche mit sich führt. Das geht wie so oft im Leben schief.

Insider-Informationen werden gehandelt, zum heißen Tipp aufgepuscht. Selbst wenn einer über keine verfügt und nur so tut als ob. In Hinterzimmern wird gemauschelt, durch Spalte wie Löcher in den Ställen spioniert. Da werden Versager zu Siegpferden aufgepuscht, Quoten manipuliert. Pfleger dürfen ein Siegpferd nachts nicht aus dem Auge lassen, damit sich niemand an ihnen zu schaffen macht. Und dann kommt im Rennen doch alles anders. Trotz aller Schuldscheine. Und manchmal endet so ein Leben tödlich.

Sobald der Startschuss fällt, wächst die Spannung ins Ungeheuere. Nicht selten schiebt sich plötzlich einer nach vorne, den die Zocker nicht auf dem Zettel hatten. Jaimy Gordon gelingt es, von einer Handvoll Außenseitern im Rennen die Brücke zu den Außenseitern hinter der Barriere zu schlagen. Sie alle sind der Nabel der Welt. Gleichermaßen nach dem Motto des verstorbenen Börsengurus Kostoljany : Man muss mindestens ein Mal Pleite sein, um reich zu werden. Männer wie Medicine Ed müssen einem Pferd in die Augen schauen, ihm über das Fell streichen, seinen Lauf beobachten. Tag für Tag von neuem. Er ist einer der Versprengten, der selbst im Nebel eines Novembermorgens fest davon überzeugt ist, dass es immer einen Weg für sich und ein Pferd gibt. Auch wenn er nicht steil nach oben führen wird.

Die große Zeit des Pferdrennsports liegt in Deutschland lange zurück. Wer Jaimy Gordons kenntnisreichen, unterhaltsamen Roman gelesen hat, bekommt glatt Lust, eine Wette zu platzieren.

Und vielleicht gibt einem ja Medicine Ed einen Tipp.

Die Aussenseiter

Jaimy Gordon, Aufbau

Die Aussenseiter

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