Ruhepol

  • London: Granta Books, 2010, Titel: 'The Still point', Seiten: 307, Originalsprache
  • München: Luchterhand, 2012, Titel: 'Ruhepol', Seiten: 352, Übersetzt: Eva Bonné
Ruhepol
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Rita Dell'Agnese
651001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2012

Missglücke Kombination

Was hat die naive, sich in Tagträumen verlierende Julia mit dem Arktisforscher Edward Mackley zu tun, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschwand und erst 60 Jahre später mumifiziert aufgefunden wurde? Diese Frage dürften sich die Leser von "Ruhepol" auch nach der Lektüre der rund 350 Seiten noch stellen. Zwar gibt es verwandtschaftliche Bande und Julia lebt in jenem Haus, in dem ihr Urgroßonkel Edward einst seine junge Frau Emily zurück ließ, um nie wiederzukehren, doch hört da die Verbindung auch schon auf. Auf ihrem Streifzug durch das geerbte Haus findet Julia Unterlagen, aus denen sie die tragische Liebesgeschichte des jungen, früh getrennten Ehepaares Edward und Emily erfährt. Julia verbringt ihren Tag damit, auf ihren untreuen Ehemann Simon zu warten und mehr über den verschollenen Forscher und seine Frau zu erfahren.

Beim Versuch, zu verstehen, weshalb die Autorin diesen Weg gewählt hat, um Mackleys gescheiterte Nordpol-Expedition darzustellen, mag man die beiden geschilderten Ehen – jene von Edward und Emily Anfang des 20. Jahrhunderts und jene von Julia und Simon zum aktuellen Zeitpunkt – miteinander vergleichen. Hier ergeben sich jedoch kaum Parallelen, obwohl weder die eine noch die andere Ehe unter einem guten Stern zu stehen scheint. Im Gegensatz zu Emily hat Julia jedoch die Möglichkeit, etwas zu verändern. Die weltfremde junge Frau wird in Sackvilles Erzählung allerdings so träge und dösig dargestellt, dass man nur mit Mühe genügend Interesse für ihr Schicksal aufbringen kann.

Wesentlich gehaltvoller ist die Geschichte des Forschers und seiner Frau. Hier beweist Amy Sackville, dass sie durchaus über Erzähltalent und eine adäquate Sprache verfügt. Sie beschwört den intensiven Wunsch Mackleys herauf, den Nordpol unter den Füßen zu spüren und schildert eindrücklich, zu welchen Mitteln der Forscher greift, um sein Ziel zu erreichen. Diese Erzählung verliert nichts an Intensität, obwohl den Lesern von Anfang an klar ist, dass die Expedition zum Scheitern verurteilt sein wird. Um die Spannung dennoch aufrecht zu erhalten, greift die Autorin zum Stilmittel des persönlichen Tagebuchs, dem der Forscher seine Gedanken bis zuletzt anvertraut und das 60 Jahre später die noch immer auf ihren Mann wartende Witwe erreichen wird.

Grundsätzlich hat Amy Sackville sowohl vom Thema her als auch von der Aufbereitung des Stoffes der Expedition eine reife Arbeit abgeliefert. Die missglückte Kombination mit der in ihrem trägen Dasein verharrenden Julia jedoch schmälert den Lesegenuss erheblich. Hier zeigt sich, dass weniger manchmal mehr sein kann. Die Expedition für sich alleine stehende vermochte die Leserschaft durchaus zu fesseln, die Aufsplittung des Plots auf die beiden unterschiedlichen Zeitebenen vermag dies leider kaum.

So sollte dieser Roman eher jenen ans Herz gelegt werden, die einen Faible für einen träge vor sich hin fließenden Plot haben. Wem die intensiven Momente der Forschungsreise - die in diesem Roman durchaus vorhanden sind - wichtiger sind, der dürfte ob der starken Gewichtung auf Julias vor sich hin plätschernden Tag verzweifeln.

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