In Zeiten des abnehmenden Lichts

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2011
  • 3
  • Berlin: Argon, 2011, Seiten: 10, Übersetzt: Ulrich Noethen
In Zeiten des abnehmenden Lichts
In Zeiten des abnehmenden Lichts
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Daniela Loisl
921001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2011

Facettenreich, tiefsinnig und mit einem gutem Blick fürs Wesentliche

Die vergangenen 50 Jahre bieten die Grundlage dieses Romans, in dem das Leben der Familie Umnitzer dargestellt wird. Eine Familiengeschichte über vier Generationen in einer Welt die viele zu kennen glauben und von der im Grunde doch nur die Ahnung haben, die sie erlebten. Die Welt des Kommunismus, das Leben in der DDR.

Distanziert unaufdringlich – und doch so intensiv 

Von Mexiko in die DDR, von Moskau ins Straflager nach Sibirien, vom Kommunismus in die Demokratie - an allen Stationen macht Eugen Ruge halt und lässt den Leser verweilen, um ihm die Möglichkeit einzuräumen sich umzusehen und Dinge wahrzunehmen von denen er bis jetzt nur wenig bis gar keine Vorstellung hatte.

Ruge beginnt leise zu erzählen, führt den Leser durch verschiedene Stationen und wechselt sowohl Perspektive als auch Schauplatz in scheinbar unzusammenhängenden Szenen und bietet so ein Kaleidoskop, ein Memory-Spiel in dem stets mehrere Akte zusammenpassen, sich aber erst nach richtiger Anordnung auch zusammenfügen lassen. Wilhelm und Charlotte bieten den Auftakt, den Ursprung zum erlebnisreichen, tragischen, aber im Ostblock wohl zu der Tagesordnung zählenden Familiengeschichte.

Der Autor hat einen scheint´s eher distanzierten Erzählstil, der jedoch das Geschehen so noch plastischer, noch greifbarer zeichnet. Seine glatte und schnörkellose Sprache passt ideal zur nüchternen Sachlichkeit des DDR-Regimes. Ein paar falsche Worte, leichte Kritik am Hitler-Stalin-Pakt und schon sind Kurt und sein Bruder Werner, die Söhne Charlottes und Wilhelms, auf dem Weg ins sibirische Straflager. Ruge beschönigt nichts, beschreibt aber dramatische Szenen nicht reißerisch oder effektheischend, wodurch die ganze Kälte der Machthaber, die Nichtachtung der Menschen und die immens straffe Hand der Politik erst recht zur Geltung kommt.

Vom Straflager und anschließender Verbannungszeit kehrt nur Kurt zu den Eltern zurück, die aus dem mexikanischen Exil heimkehren bzw. zurückgeholt werden, um ihren Anteil zum Aufbau der DDR zu leisten. Wilhelm, der im Grunde nichts alleine zustande bringt, schafft es dennoch, dass ihm stets Orden verliehen werden. Charlotte, die eigentlich für den ganzen Zusammenhalt der Familie sorgt und der bei der Rückkehr in die DDR ein ansehnlicher Posten als Direktorin versprochen wird, findet es nur ungerecht, dass jemand wie Wilhelm Auszeichnungen verliehen bekommt und im Grunde nichts geleistet hat. Den inneren Kampf Charlottes, die all ihre Zuneigung nun auf ihren einzigen Sohn Kurt und den Enkel Alexander projiziert, stellt Eugen Ruge auf immens empathische und einfühlsame Weise dar. Ebenso die Verzweiflung Irinas, Kurts Frau und Alexanders Mutter, die mit der Realität und auch Charlotte nicht zusammenkommt und immer mehr Zuflucht im Alkohol sucht, ist erschreckend authentisch.

Psychogramm einer Familie in der Politik allgegenwärtig ist

Der 90ste Geburtstag Wilhelms wird zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und so bunt durcheinander gewürfelt die einzelnen Kapitel auch zu sein scheinen, letztendlich kehrt man immer wieder zu dieser Feier zurück. Die verschiedenen Exkurse der einzelnen Personen dienen einfach zum leichteren Verständnis der Ereignisse.

Erzählt Ruge auch leicht und – so scheint es – sehr locker, so ist der Leser dennoch gefordert alle Ereignisse akribisch genau wahrzunehmen, will er alle Feinheiten und versteckten Zusammenhänge erkennen, die sich einem oft erst viele Kapitel später erschließen. Durch den ständigen Perspektivenwechsel – mal betrachtet man die Ereignisse aus Charlottes Blickwinkel, mal aus Alexanders, dann aus Kurts oder auch aus Irinas – wird der Leser aufgefordert seine eigenen Schlüsse aus den Geschehnissen zu ziehen. Ruge gibt nicht vor, urteilt nicht und bezieht auch keine Stellung. Er zeigt auf, führt an die Szenerien heran, lässt den Leser verweilen und ihm seine eigenen Gedankengänge zu Ende führen.

Nicht was Ruge erzählt ist so außergewöhnlich und bemerkenswert, sondern das Wie. Die Herangehensweise dem Leser den Blickwinkel sämtlicher Figuren sehen zu lassen, ihm quasi die Möglichkeit zu bieten, Szenen aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu veranschaulichen, kombiniert mit einer perfekt angepassten Sprache, macht dieses Werk zu dem was es ist: Ein wunderbares, außergewöhnliches und menschliches Buch, bei dem weder Humor noch der Ernst der Sache zu kurz kommen.

Einzig das auf der Rückseite des Buches vermerkte Zitat von "Die Zeit" – "Der große DDR-Buddenbrooks-Roman" hätte man sich wirklich sparen sollen. Das einzige was dieses Buch mit Manns Werk gemeinsam hat ist die Familiengeschichte. Ruges Buch ist anders. Nicht besser – nicht schlechter – aber eben gänzlich anders.

In Zeiten des abnehmenden Lichts

Eugen Ruge, Argon

In Zeiten des abnehmenden Lichts

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