Blumenberg

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2011
  • 0
  • Berlin: Suhrkamp, 2011, Seiten: 216, Originalsprache
Blumenberg
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Georg Patzer
651001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2011

Blumenberg und sein Löwe. Sibylle Lewitscharoff, die für diesen Roman auf der Kurzliste des Buchpreises steht, lässt den Leser ratlos zurück.

Ist es ein Wunder? Da liegt eines Abends, als der berühmte Philosoph Hans Blumenberg wie immer an seinem Schreibtisch sitzt und seine Gedanken in ein Diktaphon spricht, ein Löwe auf seinem Teppich. Ein Löwe, von dem "weder ein Ruch noch ein Ungeruch" ausging: "Groß, gelb, atmend; unzweifelhaft ein Löwe. Der Löwe sah zu ihm her, ruhig sah er zu ihm her aus dem Liegen, denn der Löwe lag auf dem Bucharateppich, in geringem Abstand zur Wand." Was macht Blumenberg? Er denkt nach. Und er weiß, "dass in Gestalt des Löwen eine außerordentliche Ehre ihm widerfuhr, gleichsam eine Ehrenmitteilung der hohen Art war überbracht worden, von langer Hand vorbereitet und nach eingehender Prüfung ihm gewährt." Was macht er noch? Mit dem Löwen reden? Nein: "Mit einem Löwen zu konversieren, das hatte Blumenberg nicht geübt." Immerhin: "Der Löwe ist zu mir gekommen, weil ich der letzte Philosoph bin, der ihn zu würdigen versteht, dachte Blumenberg."

Ein Possenspiel der höheren Art hat sich Sibylle Lewitscharoff mit ihrem neuen Roman Blumenberg erlaubt. Ein Spiel, in dem es nicht um Realität oder auch nur Wahrscheinlichkeit geht. Erst recht nicht darum, ob hier einer verrückt geworden ist oder Halluzinationen hat. Dass der Löwe auftaucht, ist einfach nur die Grundlage des Romans, die man hinnehmen muss. Als Blumenberg von eiem Gang zum Briefkasten zurückkehrt, "fehlte der Löwe." Der Philosoph denkt weiter: Dieser nicht mehr vorhandene, "ganz andere, weltabweisende Löwe kommt doch in etwas vor und ist damit auf eine neue und andere Art der Fall. Die Sprachspiele der Weltbenenner holen den Löwen ins Dasein und Leben zurück, murmelte er leise vor sich hin. Zufrieden mit dem Wort Weltbenenner, welches er umstandslos auf sich münzte, ging Blumenberg ins Bett."

Am nächsten Tag, als er in der Uni Münster über Trostbedürftigkeit und Trostunfähigkeit des Menschen doziert, erscheint der Löwe wieder. Und dann taucht er immer wieder auf, meistens in seinem nächtlichen Arbeitszimmer, und es gibt nur eine Person, die ihn auch sehen kann: Schwester Käthe Meliss, die er einmal trifft, als er einen schwerkranken Kollegen besucht.

Der Roman kreist vor allem um Blumenbergs Gedanken zu Löwen, um seine Wesenheit, woher er kommt, was er bedeutet. Auch, in welchen Zusammenhängen in Literatur und Theologie er auftaucht, bei den Wüstenvätern, dem heiligen Hieronymus, Thomas Mann, Agaue und Maria Aegyptiaca oder beim Evangelisten Markus. Und die Erzählerin lässt ihn nebenbei auch sonst erscheinen, einmal sogar auf einer Briefmarke. Auch der wirkliche Philosoph hat viel über diese ikonographisch hochinteressanten Tiere notiert. Erst fünf Jahre nach seinem Tod wurden sie in dem Band "Löwen" zusammengefasst und publiziert. Und dieser Roman erweckt immer wieder den Eindruck, als wenn Lewitscharoff selber einmal in einem ihrer Bücher möglichst viele kleine Anspielungen machen wollte.

Der behutsame Umgang Blumenbergs mit seinem Löwen, den er zeitlebens nie zu berühren wagt, seine Gewöhnung an ihn, seine Angst, anderen davon zu erzählen, aus Scham, dass die ihn für verrückt halten könnten, das ist ein Strang des Romans. Der andere erzählt von vier seiner Studenten: Isa, Gerhard, Richard und Hansi.

Isa sitzt in seinen Vorlesungen immer in der ersten Reihe, sie schwärmt heimlich für ihn, ohne dass sie je mit ihm geredet hat, hat eine seltsame Liebes- oder Nicht-ganz-Liebesbeziehung mit Gerhard und springt irgendwann von einer Autobahnbrücke vor einen großen Lastwagen. Warum, weiß man nicht. Gerhard geht einmal in Blumenbergs Sprechstunde, um ein Thema mit ihm abzusprechen, und wundert sich über dessen plötzliche Zugänglichkeit. Später wird er selbst Philosophieprofessor und stirbt an einem Schlaganfall. Richard, der seine Dissertation nie fertig schreibt, erbt Geld von der Großmutter und reist nach Südamerika, um den Amazonas herabzufahren und wird in Manaus in eine Falle gelockt und erstochen. Hansi schließlich ist der seltsamste von allen, er ist reich und trägt in den Kneipen von Münster Gedichte vor und erbettelt sich damit Geld. Später verfällt er zusehends, er entwickelt sich so, wie es Gerhard einmal vorhergesehen hat, sein Gesicht fällt ein, seine Zähne fallen aus, und als er nach dem Fall der Mauer in einem Bahnhof die Leute zur Umkehr zu bewegen sucht, bricht er tot zusammen.

In ziemlicher und manchmal auch unziemlicher Kürze werden diese Nebengeschichten erzählt, manches wird nur angedeutet, seltsam kursorisch huscht der Erzähler (der sich auch mal direkt an den Leser wendet) über die Schicksale hinweg, die alle ein wenig mit der Hauptperson zu tun haben. Ja, Richard erlebt in Brasilien sogar einen Panther, den er zwar nicht sieht, dem er aber doch, in einer Hängematte liegend, sein ganzes Leben erzählt, als der ihm geantwortet hatte: "Ich höre."

Es ist aber nicht die Abstrusität der Geschichte, die den Leser am Schluss ein wenig ratlos zurücklässt – abstruse Geschichten ist man von Sibylle Lewitscharoff wahrhaftig gewöhnt. Es ist das Zerfaserte der Geschichten, die nirgendwo hinführen, die seltsam verbindungslos und ohne erschlüsselbaren Sinn vor einem stehen. Selbst Blumenbergs Überlegungen, was der Löwe bedeuten könnte, seine Ehrfurcht vor dem Einbruch des Übernatürlichen in seine natürliche Welt, selbst die Überlegungen, was es heißt, wenn man sich daran gewöhnt, hängen in der Luft und werden nicht zu Ende geführt. Nicht einmal, als sich die Protagonisten am Schluss und nach ihrem jeweiligen Tod in einer Höhle treffen, wo ihnen plötzlich die Sprache allmählich versagt, wo ihnen Wörter und Namen nicht mehr einfallen. Natürlich, für eine Schriftstellerin, ist das der Tod. Aber für den Leser ist es doch ein wenig unbefriedigend.

Zumal auch der Spaß und die Ironie der Autorin sich schnell leerläuft. Wie Thomas Mann drechselt sie viele Sätze, nur nicht so lang, und es werden viele Zitate aus philosophischen Werken in ihrem Roman versteckt sein. Aber wenn man 200 Seiten lang so etwas liest wie "Die gebrechliche Letztheit war über ihn gekommen", wird man irgendwann müde. Das hat eine unangemessene Schwere und bemühte Tiefe, die Lewitscharoff eigentlich überhaupt nicht nötig hat. Denn eigentlich ist sie eine der witzigsten und phantasievollsten Erzählerinnen, die es gibt. Schade um den schönen Grundeinfall.

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