Die Unbestechliche

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  • Erschienen: November 2023
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Die Unbestechliche
Die Unbestechliche
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Carola Krauße-Reim
751001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2024

Interessante Geschichte mit verschenktem Potential.

1968: Alice – 21 Jahre, verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter – arbeitet als Volontärin im Lokalblatt von Miesbach, bevor sie ihr Glück kaum fassen kann und in der Kulturredaktion eines Münchner Blattes Fuß fassen darf. Bis 1977 durchläuft sie verschiedene Ressorts, macht Hörfunk und träumt vom Fernsehen. In einer Zeit als die Emanzipation der Frauen noch in den Anfängen steckte, muss sie sich in der männerdominierten Arbeitswelt Sexismus und Willkür gefallen lassen und sich gleichzeitig den Herausforderungen einer berufstätigen Mutter stellen. Immer wieder stellt sie sich die Frage: Soll ich mich wehren oder lieber still leiden?

Motive aus der Realität genommen

Maria von Welser begann ihre Karriere als Lokaljournalistin, bevor sie bei einem Münchner Boulevardblatt unterkam und schließlich beim Bayrischen Rundfunk arbeitete. Einem breiten Publikum dürfte sie durch ihre Sendung „ML Mona Lisa“ bekannt geworden sein – dem ersten Frauenjournal im deutschen Fernsehen. 1997 verließ sie die Sendung, arbeitete aber weiterhin als Journalistin und Dozentin. Waltraud Horbas macht ihre Protagonistin Alice (man beachte den Namen!) zum Alter Ego von Maria von Welser, indem sie Motive aus deren Leben als Gerüst für den Roman nimmt. Durch Alice erleben wir die Welt der arbeitenden Frauen vor der Emanzipation.

Arbeitswelt und Zeitgeschehen

Der komplette Roman ist ein Plädoyer für die Rechte der Frauen. Und das eben nicht aufgrund theoretischer Weisheiten, sondern nüchterner Tatsachen, die sich Frauen vor der Emanzipation stellen mussten. Zwar war das Gesetz der Hausfrauenehe 1976 abgeschafft worden, doch wie immer lagen Theorie und Praxis noch weit auseinander. Wenn Frauen überhaupt außerhalb des Hauses berufstätig waren, mussten sie dennoch ihre „hausfraulichen Pflichten“ und die Kindererziehung erledigen. Der Spagat hat ihnen sehr viel abverlangt. Auch Alice muss das schaffen und es wird nach der Scheidung sogar noch problematischer für sie. Ihr Berufsleben symbolisiert den Kraftakt, der für Frauen zur damaligen Zeit üblich war, immer mit den Gedanken an Konsequenzen im Hinterkopf, denn die Arbeitswelt war fest in Männerhand. Sexismus und Willkür standen an der Tagesordnung; das laut Gesetz abgeschaffte Frauenbild war noch fest verankert bei den Männern und in der Gesellschaft im Allgemeinen.

Allein schon die Schilderungen aus Alice Leben kann als Zeitzeugnisse gesehen werden. Die sie begleitenden Ereignissedes Weltgeschehens lassen dann auch einen Blick auf die historischen Meilensteine dieser Zeit zu. Die Studentenunruhen, das Olympia-Attentat, die Ölkrise und andere mehr werden durch kurze Notizen erwähnt und von den beiden Autorinnen geschickt in das Leben von Alice eingebaut. Das alles liefert ausreichend Potential für einen packenden (im wahrsten Sinne des Wortes) Frauenroman. Doch dieses Potential haben die beiden Autorinnen nicht genutzt. 

Emotionsarm und distanziert

Alice wird manchmal fast zerrissen zwischen ihrer Liebe zu Tochter Elena und dem starken Willen Journalistin zu werden. Diese Spannungen hätten zu einer starken Protagonistin führen können, die immer versucht ist, diese ambivalenten Gefühle unter einen Hut zu bekommen, um zeitgleich ihre Frau in einer männerdominierten Arbeitswelt zu stehen. Aber herausgekommen ist eine Figur, die wenig authentisch, dafür aber sehr distanziert erscheint. Nur in wenigen Passagen lassen Walser und Horbas zu, dass Alice wirklich Gefühle zeigt. Zwar wird ihre Zerrissenheit und auch ihre Wut immer wieder beschrieben, doch ausleben darf Alice beide kaum. Das schafft eine Distanz, die durch den sehr emotionslosen Schreibstil noch vergrößert wird. Trotz der persönlichen Problematik haben sich die Autorinnen für eine Ausdrucksweise entschieden, die über lange Strecken fast den Charakter eines beschreibenden Zeitungsartikels hat. Dazu kommen überlang geschilderte Diskussionen und Gespräche, welche die Geschichte nicht lebendiger machen.

Fazit

Ein Roman, der unbedingt gelesen werden sollte – und das nicht nur von Frauen! Selbst kleine Mängel lassen ihn zu einem Zeitzeugnis werden, das Frauenleben vor der Emanzipation zeigt und gleichzeitig verdeutlicht, was in Bezug auf Gleichberechtigung schon alles erreicht wurde. Er zeigt aber auch, dass der Weg zu tatsächlicher Gleichheit zwischen den Geschlechtern noch längst nicht zu Ende ist.

Die Unbestechliche

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