Die Postkarte

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Monika Wenger
851001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2023

Wenn sich die Vergangenheit in die Gene brennt.

Eine geheimnisvolle Postkarte, ohne Absender, nur vier aufgelistete Namen, lassen Anne Berest ihrer Mutter Lélia Fragen zur Vergangenheit der Familie Rabinovitch zu stellen. Eingetroffen ist die Karte allerdings bereits vor sechzehn Jahren, wo sie in den Tiefen von Lélias Schublade verschwand. Wie sich herausstellt, hat Annes Mutter bereits in den Jahren zuvor eigene Nachforschungen begonnen, diese aber wieder eingestellt. Zu verworren und zu emotional war das Ganze für sie. Doch die Tochter will endlich die ganze Geschichte kennen und macht sich auf die herausfordernde Spurensuche.

Geheimnisvolle Karte

Lélia hat im Januar 2003 eine geheimnisvolle Postkarte erhalten. Auf dieser waren nur die Namen von vier Angehörigen vermerkt. Diese sind im Jahr 1942 in Konzentrationslagern ums Leben gekommen. Es sind dies die Namen von Ephraïm, Emma, Noémie und Jacques Rabinovitch. Annes Urgrosseltern und die Geschwister ihrer Grossmutter Myriam.

Dieser einzige Anhaltspunkt ist gleichzeitig Ausgangslage. Obwohl ihre Mutter sich bei unzähligen Fragen zurückzieht und sich ungern erinnert, erhält Anne dürftige Auskünfte. Einzelne Puzzleteile, die ihren Platz finden müssen. Sie ergeben zu diesem Zeitpunkt noch kein Gesamtbild. Da erzählt Annes Tochter Clara ihrer Grossmutter Lélia von einer abschätzigen Bemerkung, die Mitschüler geäussert haben. Anhand dieser so nachlässig dahingesagten Worte von Kindern, pocht die Grossmutter ungewöhnlich heftig auf eine Klärung der Hintergründe durch Anne. Für Anne schliesst dies auch die Nachforschung nach dem Absender der Postkarte mit ein. Beide Ereignisse scheinen einen noch nicht erkennbaren Zusammenhang aufzuweisen.

Zurückhaltung und Schweigen

Noch muss Anne ihre Mutter bearbeiten, damit diese sie an den letzten Wohnort der Familie Rabinovitch begleitet. Ohne Zweifel bedeutet dies für sie, sich weiteren belastenden Erinnerungen stellen zu müssen. Sie finden zwar das ehemalige Wohnhaus der Rabinovitch, die Leute im Ort verhalten sich ihnen gegenüber jedoch überraschend zurückhaltend. Eine grosse Herausforderung für Anne, gilt es doch, das Schweigen sowohl innerhalb ihrer Familie wie auch von Personen zu brechen. Mit Hilfe amtlicher Dokumente und historischen Unterlagen findet sie glücklicherweise weitere Informationen. Zusätzlich bringen die langen und intensiven Diskussionen mit ihrer Mutter endlich Licht ins Ganze. Am Ende können sie, die letzten Hinterbliebenen, ihre Familiengeschichte rekonstruieren.   

Aufwühlende Ergebnisse

Erfrischend und gleichzeitig bewusst distanziert erzählt die Autorin Anne Berest ihre Familiengeschichte. Sie lässt dabei auch die schrecklichen Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg nicht aus. Mit ihrer Erzählweise ist man sogleich mitten drin in der Geschichte. Auf verschiedenen Zeitebenen setzt sie ihre Spurensuche und die gefundenen Details zu einem Familienroman zusammen. Anne Berest unterteilt den Roman in Bücher mit mehreren Kapiteln. Sie beginnt mit der Erzählung ihrer Mutter Lélia, die bereits vor Jahren recherchiert und Ergebnisse zusammengetragen hat. Mit diesem Wissen kann das Leben der vier Personen auf der Postkarte nachgezeichnet werden. Ein erschütternder erster Bericht für die Familienchronik. Aus weiteren Erkenntnissen ergibt sich dann die Geschichte von Annes Grossmutter Myriam. Für die Hinterbliebenen wird es nicht nur eine Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und sondern auch mit der Historie.

„Ich habe, eingeschrieben in meine Zellen, die Erfahrung einer derart heftigen Bedrohung, dass es mir manchmal vorkommt, als hätte ich sie wirklich erlebt oder müsste sie noch einmal erleben.“

Fazit

Eine berührende und erschütternde Familien-, Liebes- und Nachforschungsgeschichte. Leicht, beinahe sachlich erzählt, lässt sich die darin enthaltene Dramatik fast nicht ertragen. Entstanden ist eine einzigartige und bewegende Spurensuche. Gleichzeitig ist es eine liebevolle Erinnerung und ein Buch gegen das Vergessen – ganz so, wie es sich Myriam gewünscht hat: „Ich darf sie nicht vergessen, sonst gibt es niemanden mehr, der sich daran erinnert, dass sie gelebt haben.“.

Die Postkarte

Anne Berest, Berlin

Die Postkarte

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