Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike

  • Hamburg: Edition Nautilus, 2013, Seiten: 160, Originalsprache
Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike
Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike
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Rita Dell'Agnese
801001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2015

Eine andere Sicht auf eine Terroristin

Anja Röhl war noch ein kleines Kind, als ihr Vater, Herausgeber einer linken Zeitung, die Journalistin Ulrike Meinhof kennen lernte. Die junge Frau pflegte ein gutes Verhältnis zu ihrer Stieftochter, das auch weiter bestand, als Ulrike Meinhof Zwillingen das Leben schenkte. Anja Röhl hat sich intensiv um ihre beiden Halbschwestern gekümmert und kam damit auch deren Mutter sehr nahe. Für die Autorin Anja Röhl war die Begegnung ihres Vaters mit Ulrike Meinhof ein Glücksfall. Sie bekam von der jungen Journalistin Anerkennung und Zuwendung, die sie in ihrem bisherigen Leben weitgehend vermisste. So erinnert sich die Autorin in ihrem autobiographischen Roman mit viel Empathie an die Frau ihres Vaters, aber auch an ihre beiden Zwillingsschwestern.

Dass diesem Roman eine besondere Stellung zukommt, verdankt das Werk nicht einer herausragenden schriftstellerischen Leistung, sondern ausschließlich dem Umstand, dass es sich bei der Frau des Vaters um eine der am meisten im Rampenlicht stehenden RAF-Terroristin handelte. Anja Röhl hat jedoch nicht die Radikalisierung von Ulrike Meinhof ins Zentrum ihrer Erinnerungen gesetzt, sondern die kluge und umsichtige junge Frau, als die sie die spätere Terroristin kennen lernte. Mit großer Empathie beschreibt Anja Röhl ihr Leben mit Ulrike Meinhof, die Zeit nach der Geburt ihrer Zwillingsschwestern und die Phase der Gefangenschaft, in deren Verlauf Ulrike Meinhof unter anderem immer wieder Hungerstreik durchführte.

Den Leserinnen und Lesern serviert Anja Röhl ein sehr unvollständiges Bild ihrer einstigen Stiefmutter. Sie präsentiert die Seite von Ulrike Meinhof, die in der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen wurde: Die einer engagierten jungen Mutter. Um politischen Überlegungen aus dem Wege zu gehen, beschränkt sich Anja Röhl fast ausschließlich auf die Sicht eines Kindes und später einer Jugendlichen auf die Stiefmutter. Diese Sicht ist geprägt von liebevollen Gefühlen und einer Verbundenheit, die aus den Zeilen spricht. Dafür blendet Anja Röhl die andere Seite von Ulrike Meinhof stark aus. Wer also auf eine kritische Auseinandersetzung mit der schillernden Persönlichkeit Meinhofs hofft, wird in diesem Buch nicht fündig. Ebenso wenig wird hier beschrieben, was genau die Radikalisierung der Journalistin bis hin zur Entwicklung zu einer der meistgesuchten Terroristinnen ausgelöst hat.

Der verknappende Erzählstil von Anja Röhl ist gewöhnungsbedürftig. So mag es ein Stilmittel der Autorin sein, von sich als "Kind" zu reden, besonders lesefreundlich ist es nicht. Parallel zu ihrer Entwicklung, sieht sich Anja Röhl zunächst als Kind, dann als Mädchen. Obwohl autobiographisch ist die Ich-Form bewusst ausgeklammert. Anja Röhl pflegt also eine recht einseitige Sicht auf die Ereignisse. Da es sich um ein autobiographisches Werk handelt, muss ihr diese Einseitigkeit nachgesehen werden. Die Autorin beschreibt, mit welchen Gefühlen sie als Kind und als junges Mädchen konfrontiert war und welche Entwicklung die Geschehnisse damals nahmen. Sie schreibt auch über das Zusammenleben mit ihren beiden Schwestern, doch wird hier der Leser überrascht inne halten. Denn plötzlich finden sich im Buch ganze Textpassagen eingeschwärzt wieder. Dass es sich dabei um einen Kompromiss handelt, der eingegangen wurde, um Klagen abzuwenden, erfährt der Leser im Editorial des Verlags. Tatsächlich wird die Erzählung durch diese Einschränkung phasenweise zum zahnlosen Tiger. Der Verlag präsentiert die Schwärzung als Aktion des Protestes, was jedoch dem Lesen nicht entgegen kommt.

Trotz vielen Abstrichen bleibt Die Frau meines Vaters ein faszinierendes Werk, das eine etwas andere Sicht auf eine Person ermöglicht, die noch heute als eine der kaltblütigsten Verbrecherinnen gilt: Sprachlich etwas holperig, doch von der Aussage her durchaus spannend und letztlich auch nachdenklich stimmend.

Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike

Anja Röhl, Edition Nautilus

Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike

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