Eine große Zeit

  • Berlin: Der Audio Verlag, 2012, Seiten: 6, Übersetzt: Heikko Deutschmann
Eine große Zeit
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Wolfgang Franßen
591001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2012

Autobiografische Parallelwelten

Das kommt vor. Manchmal bestellen wir uns einen Kaffee und schon beim ersten Schluck, werden wir das Gefühl nicht los, dass es sich nur um einen Aufguss handelt, der erste Kaffee aus diesem Filter wesentlich besser geschmeckt haben muss. Wer von William Boyd den Roman "Eines Menschen Herz" kennt, wird sich schwer tun mit "Eine große Zeit." Allzu deutlich fallen die Parallelen ins Gewicht.

War es in "Eines Menschen Herz" der Zweite Weltkrieg, ist es in "Eine große Zeit" der Erste, der das Leben eines Helden kräftig durchschüttelt, er sich mittels einer Zwangslage dazu auserkoren sieht, dem britischen Geheimdienst zu Diensten zu sein. Im Vorgänger war der Held Schriftsteller, diesmal handelt es sich um einen Schauspieler, dessen Amouren sich wie ein rotes Band durch den Roman schlängeln. Griff Logan Montstuart in dem einen Roman zum Mittel des Tagebuchs, nennt sich das Ganze bei Lysander Rief nun autobiografische Untersuchung.

Sein Vorname scheint nicht rein zufällig Shakespeare Sommernachtstraum entsprungen zu sein, führt er sich zeitweise doch wie der gleichnamige Tropf auf der Bühne auf, der die Frauen zu kennen vorgibt und sich ihnen naiv überlässt. Von der Mutter finanziell unterstützt fährt er nach Wien, um sich einem wahrhaft männlichen Problem zu stellen: Der Potenzstörung, die angesichts seiner Verlobung mit Blanche ein Problem darstellen könnte.

Schon das Vorkriegswien mit einem Hauch Belle Epoque, der unausweichlichen Begegnung mit Freud im Caféhaus, dem verführerischen Frauenzimmer in der Pension und der Femme fatale an der Seite eines aufstrebenden Malers entspringt der Postkartenidylle eines abgekupferten Schnitzlers, der Operette eines Offenbachs, dem Freiluftkonzert eines Strauß.

Dr. Bensimons großes Glück als behandelnder Psychiater besteht darin, dass sein Patient Lysander in seiner Praxis Hettie kennen lernt, sie ihn porträtieren mag, nackt natürlich, und diese Frau schon bei der ersten körperlichen Begegnung jegliches Problem mit der Potenz im Sturm löst, als sei Puck, dem Sommernachtstraum entsprungen, an Lysanders Seite geeilt und habe ihm ein paar Tropfen ins Auge geträufelt.

Wer William Boyds vortrefflichen Roman "Ruhelos" kennt, der ist spätestens hier enttäuscht. Da wird das erfolgreiche Muster aus "Eines Menschen Herz" ein zweites Mal verbraten. Nur dass der charmante Loser Logan Montstuart, egal wohin ihn seine Zeit auch warf, welcher Schicksalsschlag ihn auch erwartete, welch bitteres Ende seine Karriere als Schriftsteller auch nahm, eines besaß: unsere Anteilnahme. Während Lysander Rief blass bleibt, ihm jegliche freudsche Tiefenstörung abgeht. Angesichts seiner Spionagetätigkeit in Genf vermag er zumindest einmal zu glänzen, wenn ihn die eigene Agentin wegen eines Übersetzungsfehlers gleich dreimal erschießt. Wenn auch nicht einmal richtig, so dass Lysander auch dies überlebt.

Es gibt einige dieser Momente in Boyds neuem Roman, die durchaus lesenswert sind. Nicht Zuletzt der Einfall, dass Hettie von ihm ein Kind erwartet. Sie wird ihn jedoch der Vergewaltigung bezichtigen, so dass ihm nur die Flucht aus Wien bleibt. Sein Nachwuchs wird derweil wie ein Kuckuckskind dem Maler untergejubelt. Hettie wird sich neu vermählen und nach Jahren dem sprachlosen, bindungslosen Lysander auf einem Fest offenbaren, das sie das Kind in Österreich bei einer Tante geparkt hat. Schließlich will sie den neuen Ehemann nicht damit belasten. Lieber wären wir an ihrer Seite durch die Geschichte geschlendert, als einem Schauspieler dabei zuzusehen, wie er seine Rollen beherrscht.

Eine dramatische Wucht zu entwickeln, wie es der plötzlich Tod von Frau und Tochter durch eine V1 in "Eines Menschen Herz" darbot, dazu vermag sich die Geschichte in "Eine große Zeit" nicht aufzuschwingen. Es plätschert wohlmeinend dahin. William Boyd ist ein Vielschreiber. Seine Romane vermögen zu unterhalten. Womöglich wird derjenige, der nie zuvor von ihm etwas gelesen hat, sich von dem "Parforceritt durch Europa" bestens unterhalten fühlen.

Andere wiederum hoffen hingegen, dass der Filter, aus dem dieser Kaffee rann, nun ausgedient hat.

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